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Bauwerkstypologie: Schießscharten

Schießscharten

 

Nomenklatur

Schießscharten sind Wehrelemente, die der Verteidigung von Wehrbauten dienen und sich im Laufe der Zeit durch verschiedene Anforderungen und Umstände entwickelt haben.

Grundsätzlich sind verschiedene Begriffe festzuhalten: Als Schießscharte wird die gesamte Anlage bezeichnet, die sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt. Der Raum zur Aufnahme eines Schützen mit seiner Waffe nennt sich Schießkammer, während schmalere Kammern, die sich aufgrund ihrer Form und Größe nicht zum Betreten eignen, Schießnische heißen. Die tatsächliche Maueröffnung nennt sich Schießöffnung,1 der schmalste Bereich vor der Schießöffnung nennt sich Schartenenge.2 Sämtliche Elemente der Schießscharten wurden untereinander kombiniert und variiert, wodurch zahlreiche Schartentypen entstanden sind. Im Bereich der Schießscharte wurden die Mauern deutlich ausgedünnt, sollten aber trotzdem möglichst eine vollständige Körperdeckung für den Schützen bieten. Aus diesem Grund sind in dünnen Mauern Schießscharten nicht zwingend vorhanden, hier konnten die Mauern nicht weiter ausgedünnt werden.3

Die ursprüngliche Schartenform ist die Schlitzscharte, die in ihrer Grundform einen hohen, schmalen Schlitz darstellt. Sie eignet sich besonders für den Gebrauch von Bögen und Armbrüsten. Besonders in England traten derartige Scharten häufig mit einem zusätzlichen Querschlitz (Kreuzscharten) auf, der eine verbesserte Sicht ermöglichen sollte. Eine weitere Schartenform ist die Steigbügelscharte, die an der äußeren Maueröffnung etwa der Form eines Steigbügels entspricht. Diese Scharten verlaufen von innen nach außen schräg nach unten.

Formen von Schlüsselscharten
Abb. 1: Formen von Schlüsselscharten [+]
Formen von Maulscharten
Abb. 2: Formen von Maulscharten [+]


Mit dem Auftreten von Feuerwaffen wurden Schlüssel(loch)scharten (s. Abb. 1) und Maulscharten (s. Abb. 2) entwickelt, die in vielen verschiedenen Formen wenig einheitlich ausgeführt wurden.

Formen von Hosenscharten im Grundriss

Abb. 3: Formen von Hosenscharten im Grundriss [+]

Eine Sonderform der Schießscharte ist die Hosenscharte (s. Abb. 3), die über zwei bis drei schräg angeordnete Öffnungen an der Innenseite der Mauer und über eine gebündelte Mündung an der Außenseite der Mauer verfügt und den besonderen Schutz der Verteidiger sicherstellen soll. Eine späte Kombination von Schießscharten besteht häufig aus einer Schlüsselscharte im Brustbereich und einer schräg nach unten ausgerichteten Fußscharte im Fußbereich.4 Schießscharten wurden teilweise mit Falzen an der Innenseite versehen, damit sie mit Brettern oder dünnen Eisenblechen bei Nichtbenutzung verschlossen werden konnten.5

 

Geschichte

Schießscharten sind etwa seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. an hellenistischen Verteidigungsbauten bekannt, sind aber in Vergessenheit geraten. Sie traten zuerst in England und Frankreich wieder auf und sind in Deutschland ab der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweisbar.6 Die Schartenformen wurden an verschiedene Entwicklungen im Bereich der Waffentechnik und der Kriegsführung angepasst, sodass eine grobe Datierung von Bauphasen an Burgen möglich ist.7
Schlitzscharten sind die ältesten datierten Schartenformen,8 sie sind für den Einsatz von Langbögen und Armbrüsten gedacht. Ab der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts ist der Einsatz von derartigen Schießscharten in Wehrtürmen zur Flankierung von Mauern nachweisbar.9 Mit Auftreten der Feuerwaffen ab dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts ändern sich die Anforderungen an Verteidigungsbauten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass (Hand-)Feuerwaffen keine Veränderung in der defensiven Wehrarchitektur bewirkt haben.10 Zwecks offensiver Verteidigung treten ab 1420 Schlüssel(loch)scharten auf, die in ihrer Form an die neu entwickelten Feuerwaffen angepasst sind.11 Mauern werden erst verstärkt,12 nachdem die nun im Kriegs- oder Angriffsfall eingesetzten Kanonen mit Metallkugeln – etwa ab 1430 – geladen werden, die mauerdurchbrechend sind. Insgesamt verläuft die Anpassung an die neuen Waffen eher schleppend, was nicht zuletzt an der zunächst geringen Anzahl von Feuerwaffen liegt. Erst zwischen 1430 und 1440 nimmt die Zahl der Büchsenmeister und Kanonengießer sowie die Vielfalt der Waffenarten merklich zu. So entsteht unter anderem die häufig verwendete Hakenbüchse, die im Zuge der Aufrüstung auch kleinerer Städte im 15. Jahrhundert13 zu der Entstehung einer eigenen Schartenform führt: Ab etwa 1480 werden neben Schlüsselscharten hauptsächlich Maulscharten verbaut,14 die maßgeblich aus einer querrechteckigen Maueröffnung bestehen und häufig an der Außenseite der Mauer mit einer figürlichen Maskenform gerahmt werden.15 Diese Feuerwaffenscharten verfügen innen über einen quer zur Öffnung in die Mauer eingelassenen Holzbalken, der Prellholz genannt wird. An diesem Prellholz werden die Haken der Büchsen eingehängt, um den Rückstoß bei Schussabgabe abzudämpfen.16 Gegen Ende des Mittelalters verlieren Schießscharten zunehmend an Bedeutung und werden schließlich nur noch im Miniaturformat in Schlössern und Adelssitzen des 16. - 18. Jahrhunderts als Herrschaftssymbol ohne Verteidigungsnutzen verwendet.17

 

Vorkommen

Schießscharten treten an verschiedenen Elementen der Wehrarchitektur auf. Zunächst verfügen vor allem die ersten Bauteile, mit denen ein Angreifer in Kontakt kommen kann, über dieses Wehrelement: Stadtmauern/Stadtbefestigungen18 und Ringmauern mit Wehrgang19 und Mauertürmen erhalten Schießscharten, um in einer Angriffssituation zu einer unmittelbaren Verteidigung dienen zu können. Scharten in diesem Bereich sind häufig innen im oberen Bereich und außen im unteren Bereich abgeböscht (Senkscharten und Steigbügelscharten), damit in einem steileren Winkel geschossen werden kann. Ebenso erhalten Stadt- oder Burgtore Schießscharten, die an dieser Stelle vor allem als Rangsymbol fungieren. Mit der Waffenentwicklung verändert sich auch die Anordnung der Scharten: Kanonen werden teilweise im Erdgeschoss platziert, in den oberen Geschossen wird mit leichteren Feuerwaffen verteidigt.20
Verschiedene abstrahierte Arten von wehrarchitektonischen Bauwerken werden außerdem mit Schießscharten versehen: Wehrkirchen und Kirchenkastelle21 erhalten ebenso wie Bastionen Schießscharten in den umgebenden Mauern,22 die sich aufgrund ihrer Formen besonders für große Geschütze und flankierendes Feuer eignen. Burgen werden einfach an neue Verteidigungssituationen angepasst, häufig werden Zinnen nachträglich mit Schießscharten versehen. Bei dieser Veränderung bleibt das Ausdünnen der bestehenden Mauer vollständig aus.23 Bestehende Schießscharten werden in Bestandsbauten nachträglich grob mit Meißeln verbreitert, teilweise werden aus einem Stück gefertigte Schartensteine in bestehende Schießscharten eingebracht.24 Selten erhalten auch aufwändig erbaute Palisaden auf aufgeschütteten Wällen Schießscharten25 und auch einige Bergfriede werden mit Schießscharten versehen. Da es sich bei Bergfrieden nicht unbedingt um Verteidigungsbauten handelt, sind Scharten an dieser Stelle eine Ausnahme.26

 

Nutzbarkeit

Schießscharten sind nach übereinstimmender Forschungsmeinung27 ein sehr schlecht erforschtes Wehrelement und wurden zudem in vergangenen Untersuchungen besonders häufig falsch analysiert und interpretiert.28 Oft wurden und werden Schießscharten mit Licht- und Lüftungsschlitzen in Mauerabschnitten verwechselt, die sich aufgrund verschiedener Indikatoren aber niemals als Schießscharte eignen.29 Tatsächlich sind viele Schießscharten trotzdem derart schlecht konzipiert worden, dass sie unbrauchbar oder nur stark eingeschränkt nutzbar sind. Mittels „Reenactment“ wurden verschiedene Schießscharten im Rahmen eines britischen Forschunsprojektes und eines Feldversuchs im Elsass in Hinblick auf die tatsächliche Nutzbarkeit untersucht.30
Auf einer ersten Untersuchungsebene wird deutlich, dass die Schießscharten selbst gewisse Anforderungen erfüllen müssen: Generell ist das Sichtfeld bei allen Schießschartenformen stark eingeschränkt, ein Gesamtüberblick und damit eine gezielte taktische Entscheidung ist kaum möglich.31 Zusätzlich sind nahezu alle Schartennischen derart klein ausgeführt worden, dass sie einen kleinen Langbogen mit einer Höhe von 1,60 m ebenso wenig wie eine Armbrust aufnehmen können.32 Zusätzlich laufen viele Schartennischen trichterförmig zur Schießöffnung hin zu, sodass eine geringe Entfernung zur Schießöffnung nicht möglich ist. Die Konsequenz ist, dass ein Schuss nur aus einiger Entfernung zur Schießscharte abgegeben werden kann und dann nur eher zufällig ein Ziel trifft.33 Rein physikalisch betrachtet ist eine minimale Entfernung zur Schießöffnung essentiell, um einen gezielten und möglichst kraftvollen Schuss abgeben zu können. Ein Schuss nach rechts und links ist bei einer Schlitzscharte erst ab einer Breite von 9-10 cm möglich, schmalere Scharten (selbst bei Schlüsselscharten) ermöglichen nur einen geraden Schuss.34 Unter diesen Maximen eigenen sich Schießscharten, die über eine Schartennische verfügen, kaum zur Verteidigung eines Wehrbauwerks. Sehr gut nutzbar sind hingegen Schießscharten, die über eine vorgeschaltete Schießkammer verfügen, die den Schützen und dessen Waffe vollständig aufnehmen kann. Der Verteidiger kann bei dieser Schartenform sehr nah an die Schießöffnung herantreten und so gezielt schießen. Sinnvoll waren an dieser Stelle selten vorkommende Verschiebungen der Schartenöffnung nach links oder rechts, die dem Verteidiger zusätzlichen Schutz und Bewegungsfreiheit bot.35
Auf einer zweiten Untersuchungsebene wird deutlich, dass außerdem die Anordnung und Ausrichtung von Schießscharten elementar ist. Besonders Schießscharten mit vorgeschalteter Schartennische müssen für eine effektive Verteidigung auf maßgeblich bedrohte Stellen ausgerichtet sein. In Realität befindet sich ein Großteil aller Schießscharten an taktisch irrelevanten Stellen.36 Zusätzlich wird die Verteidigung einer Gesamtanlage dadurch erschwert, dass eine durchschnittliche Burg im Angriffsfall von vier bis fünf Kriegsleuten und dem Burgherren verteidigt wird.37 Insgesamt lassen alle Befunde darauf schließen, dass die Mehrheit aller Schießscharten eher der wehrhaften Optik als der Verteidigung dient,38 zumal viele Bauherren und Bauleute wohl wenig Ahnung von den benötigten Anforderungen39 an die Schießscharten und von der Beschaffenheit der Waffen hatten.40 Bernges folgert: "Sie [die Schießscharten] dienten daher der baulichen Illustration des Adelsprivilegs, sich befestigen zu dürfen."41

 

Burg Eppstein

Burg Eppstein
Abb. 4: Burg Eppstein heute, von Westen [+]

Burg Eppstein im hessischen Main-Taunus-Kreis wurde im 10. und 11. Jahrhundert erbaut, vermutlich von Graf Eberhard, dem Bruder des ersten Deutschen Königs Konrad I. Der Name der Burg entstammt der Kurzform des Namens Eberhard, „Eppo“.42 Burg Eppstein wurde zuerst im Jahre 1122 schriftlich erwähnt.43

Zwischen dem 10. Jahrhundert und dem Jahr 1619 wurde die Anlage mehrfach um große Abschnitte erweitert – so zum Beispiel um die westliche Burghälfte im Jahre 1492.44 Seit dem 17. Jahrhundert verfällt die Burg, im Jahre 1819 wurde sie verkauft und daraufhin teilweise abgebrochen. Die Abbrucharbeiten wurden nach einem Besitzerwechsel im Jahre 1824 gestoppt, nach 1858 fanden unter einem neuen Burgherrn erneut kleinere Abbrucharbeiten statt. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Burg romantisch verfallen. Unter dem Architekten und Burgverwalter Franz Burkhard wurde die Ruine zwischen 1906 und 1938 gesichert und entschuttet. Seither fanden hauptsächlich kleinere Arbeiten und Teilrekonstruktionen an einzelnen Mauerabschnitten statt.45

Karte Burg Eppstein
Abb. 5: Karte der Burg Eppstein (genordet) [+]

Die Burg verfügt über zwei offizielle Zugangsbereiche: Das Haupttor im Südwesten, das über die "Klappergasse" im Westen zu erreichen ist, und das untere Osttor, das über eine vorgeschaltete Brücke verfügt. Aus topographischer Sicht ist ein feindlicher Übergriff über das Tor im Südwesten möglich. Dieser Aufgang wird besonders über die Geschütztürme im Nordwesten geschützt. Da die Burg auf einem gewachsenen Felsen errichtet wurde, steht nur dieser Aufgang im Südwesten mit dem umgebenden Gelände in Verbindung. Im Nordosten und Osten schließt der Halsgraben an das Gelände an, der über eine Brücke vor dem Osttor überquert wird. Ansonsten fällt das umliegende Gelände derart steil ab, dass ein Aufstieg nicht möglich ist. Die Burg wurde nur einmal im Jahre 1417 für eine kurze Zeit von Truppen des Grafen von Nassau eingenommen.46

Haupttor mit Wehrgang
Abb. 6: Haupttor mit darüberliegendem Wehrgang [+]

Über dem Haupttor befindet sich ein Wehrgang, der über zwei Scharten verfügt (s. Abb. 5) und den unmittelbaren Zugangsbereich abdeckt. Die genaue Schartenform ist nicht deutlich erkennbar, es könnte sich aufgrund der halbrunden Form im unteren Bereich der Scharte um Steigbügelscharten handeln.

Schlüsselscharte hinter dem zweiten Tor
Abb. 7: Schlüsselscharte hinter dem zweiten Tor [+]

Zwischen dem Haupttor und dem zweiten Tor an der Südmauer befinden sich zwei Schlitzscharten. Die untere Scharte verfügt über eine Schartennische mit einer Höhe von 60 cm und einer Breite von 60 cm. Die Schartenöffnung ist etwa 42 cm hoch und 25 cm breit. Die Schartenenge befindet sich 20 cm hinter der Außenkante der Mauer. Beide Schießscharten eignen sich aufgrund ihrer Größe nicht zur Aufnahme einer Waffe. Hinter dem zweiten Tor befinden sich 5 Schießscharten in einer Reihe, von denen heute teilweise der obere Mauerabschluss vollständig fehlt. Die erste Scharte ist eine nachträglich mit einem Schartenstein aus rotem Sandstein versehene Schlüsselscharte mit einem Loch (Durchmesser 15 cm) im unteren Bereich und einem darüber gelegenen schmalen Schlitz, der in einen halbkreisförmigen, nicht verschlossenen Teil übergeht, der als Sehbereich dient. Die vorgeschaltete Schartennische mit Rundbogen als oberen Mauerabschluss ist 80 cm breit, im Randbereich einen Meter hoch und im mittleren Bereich des Rundbogens 1,25 m hoch (s. Abb. 6). Die Nische verläuft trichterförmig hin zur Schießöffnung und eignet sich nicht zum Aufnehmen einer Waffe. Die zweite Schlüsselscharte ist ähnlich aufgebaut wie die erste Schießscharte hinter dem zweiten Tor, ist an der Schartenenge allerdings nur 40 cm breit. Die dritte Schießscharte nach dem zweiten Tor verläuft trichterförmig hin zur Schartenenge, hier ist keine Schartenplatte vorhanden. Die vierte Schießscharte hinter dem zweiten Tor verläuft trichterförmig hin zur Schartenenge, die Schießöffnung befindet sich im linken Bereich der Schartenplatte. Hier dient der rechte Teil der Schartennische dem Schutz des Verteidigers. Die fünfte Schießscharte hinter dem zweiten Tor ist heute kaum noch vorhanden. Alle Schießscharten an der Südmauer überblicken den Burggarten im Süden, dahinter fällt das Gelände schlagartig ab. Dieser Bereich ist nicht einsehbar.

Osttor mit zwei Schießscharten
Abb. 8: Osttor mit zwei Schießscharten [+]

Rechts vom unteren Osttor befinden sich zwei nachträglich aus rotem Sandstein eingefügte Schlüsselscharten über Kopfhöhe (s. Abb. 7). Beide Schartennischen sind etwa gleichgroß und quadratisch. Sie entsprechen von der Form her keinen Schießschartennischen sondern eher Fenstern, um die vor dem Osttor liegende Ostbrücke zu überschauen. Es sind keine Spuren erkennbar, die auf einen ehemaligen erhöhten Wehrgang an der Mauer schließen lassen. Beide Scharten weisen keinerlei Gebrauchsspuren auf, was darauf schließen lässt, dass sie eher dem wehrhaften Charakter der Burg dienen sollten.

Grabenzwinger mit 6 Schießscharten
Abb. 9: Grabenzwinger mit 6 Schießscharten in der Ostmauer hin zum Halsgraben [+]

An der östlichen Außenmauer im Grabenzwinger befinden sich sechs Schlüsselscharten in einer Reihe (s. Abb. 8). Alle Scharten verfügen über eine Schartennische mit einer Breite von 60 cm, einer Höhe von 60 cm, einer Engenbreite von 20 cm, einer Schießöffnungsbreite von 10 cm, einer Sehschlitzhöhe von 20 cm und einer nachträglich aus rotem Sandstein angebrachte Schartenplatte mit einer Tiefe von 12 cm. Die Nischen laufen trichterförmig zu und erlauben kein Einbringen einer Waffe. Die Scharten weisen keine Gebrauchsspuren auf und sind auf den nicht einsehbaren Halsgraben ausgerichtet. Sämtliche Schießscharten an der Ostmauer sind nur sehr stark eingeschränkt nutzbar und scheinen lediglich dem wehrhaften Charakter der Burg zu dienen.

Nordmauer Innehof
Abb. 10: Nordmauer Innenhof ohne Schießscharten [+]

Die Nordmauer im Burghof verfügt über verschiedene, kleinere Öffnungen, bei denen es sich nicht um Scharten handelt (s. Abb. 9). Keine der Öffnungen durchbricht die Mauer.

Licht- und Lüftungsschlitze Mainzer Keller
Abb. 11: Licht- ud Lüftungsschlitze des Mainzer Kellers [+]

Neben dem Tor des Mainzer Kellers befindet sich auf jeder Seite ein schmaler Schlitz, der mit einer Breite von 7 cm und einer Höhe von 70 cm leicht als Schießscharte zu missinterpretieren ist (s. Abb. 10). Die Schlitztiefe von etwa 80 cm sowie die Ausrichtung hin zum Innenhof lässt darauf schließen, dass es sich hier um Licht- und Lüftungsschlitze handelt.

Der Altangarten wurde erstmals um 1630 bezeugt und wurde auf einer um 1600 aufgeschütteten Geschützstandfläche errichtet.47 Der Garten befindet sich im äußeren, westlichen Bereich der Gesamtanlage und überblickt den vorgeschalteten, nördlich gelegenen Zwinger. Ab der westlichen Mauer überblickt man heute den Stadtbereich vor der Westmauer. Es sind keine Schießscharten oder Geschützstandflächen erkennbar.

Innere Ringmauer,
 Nordwestlicher Turm mit Schießkammern
Abb. 12: Innere Ringmauer, Nordwestlicher Turm mit Schießkammern [+]

Die innere Ringmauer liegt im nordwestlichen Teil der Anlage. Sie verfügt über zwei Geschütztürme im Norden und im Nordwesten. Der nördliche Turm verfügt über drei Schießscharten, die nach Norden, Nordosten und Nordwesten ausgerichtet sind und den vorderen Teil des Zwingers und das dahinter liegende Gelände schützen. Der Nordwestturm verfügt hingegen über zwei Schießscharten, die nach Norden und Osten zeigen und ebenfalls auf den vorderen Teil des Zwingers und das dahinterliegende Gelände ausgerichtet sind (s. Abb. 11). Beide Türme werden von der vorgeschalteten äußeren Ringmauer geschützt und schützen den offiziellen Aufgangsbereich der Burg. Alle Schießscharten in beiden Türmen verfügen über eine vorgeschaltete Schießkammer, die augenscheinlich der Aufnahme eines Schützen dient und deren Größe hierfür ausreichend erscheint.

Die äußere Ringmauer umschließt die innere Ringmauer im Norden und Westen der Anlage. Im Norden der Mauer befindet sich ein einzelner Turm, der gemäß des Burgplans48 des Burgverwalters Franz Burkhard über eine Scharte o.Ä. Richtung Nordwest verfügt, die von außen und innen nicht einsehbar ist. Von innen ist das Gelände im Zwinger bis kurz unter die Oberkante des Turmes aufgeschüttet.

Bergfried,
 Schießfenster mit Prellholz
Abb. 13: Bergfried, Schießfenster mit Prellholz [+]

Der Bergfried verfügt im Aufstiegsbereich über einzelne Öffnungen, die von außen mit Steinrahmen versehen sind. Sie sind sehr tief und verjüngen sich nach außen hin. Diese Öffnungen dienen eher nicht der Verteidigung, sondern der Belichtung, Belüftung und Ausschau. Im oberen Bereich des Bergfriedes befindet sich die Türmerstube, die 1563 neu gebaut wurde und dabei drei neue Fensternischen erhalten hat. Ende des 16. Jahrhunderts wurde ein Obergeschoss aufgesetzt, das militärischen Zwecken dienen sollte.49 Hinzugefügt wurden ein Wurferker und vier Schießfenster mit davor eingehängtem Prellholz zur Verteidigung mit Feuerwaffen (s. Abb. 12). Das obere Geschoss verfügt über einen Wehrgang aus Holz, von dem aus sämtliche Schießfenster zu erreichen sind. Vor den Schießfenstern befindet sich eine Schießkammer, die der Aufnahme des Schützen dient. In diesen Bereichen wurde die Außenmauer stark ausgedünnt. Die Schießfenster sind im oberen Bereich innen geböscht, sodass das Gelände unter dem Bergfried besser einsehbar ist. Ob die obere Plattform über Zinnen und Schießscharten verfügt hat, ist heute nicht erkennbar.

Die Burg wurde topographisch geschickt errichtet. Ein einziger, gut geschützter Weg verbindet die Burganlage mit der umgebenden Stadt, alle anderen Burgmauern sind auf einem Felsen errichtet und derart hoch ausgeführt worden, dass sie nach historischen Maßstäben kaum erklimmbar sind. Die Schießscharten, die in sich an diesen Mauern befinden, sind nach den Maximen von Rüdiger Bernges nicht nutzbar. Einzig die Schießscharten mit vorgeschalteter Schießkammer in den Geschütztürmen im Norden und Nordwesten eignen sich augenscheinlich zur Aufnahme eines Schützen und sind so ausgerichtet, dass sie zum Schutz des Aufgangs der Burg geeignet sind.

 

Literaturverzeichnis

BERNGES, RÜDIGER, Über den militärischen Nutzen von frühen Schießscharten im deutschen Burgenbau, in: Burgen und Schlösser : Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege, 52, H. 1 (2011), S. 22–37.

Blicke auf die Burg. Zeichnungen und Aquarelle des 19. Jahrhunderts aus den Beständen Karl August von Cohausen und Botho Graf zu Stolberg-Wernigerode im Germanischen Nationalmuseum ; der Band erscheint anläßlich der Ausstellung "Mythos Burg" im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, 8.7. - 7.11.2010, hg. v. NINA GÜNSTER, G. ULRICH GROßMANN, Nürnberg 2010.

HOLL., I., Feuerwaffen und Stadtmauern. Angaben zur Entwicklung der Wehrarchitektur des 15. Jahrhunderts, in: Acta et studia Academiae scientiarum hungaricae, H. 33 (1981), S. 201–243, (http://real.mtak.hu/39586/1/Holl_Stadtmauern_ActaA_1981.pdf).

LOSSE, MICHAEL, Das Burgenbuch, Stuttgart 2013.

PFEFFERKORN, WILFRIED, Schießscharten an der Burg Rechberg, in: Burgen und Schlösser : Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege, 52, H. 1 (2011), S. 38–54.

PICARD, BERTOLD, Eppstein Castle in the Taunus. Medieval fortress - Residence of the Lords of Eppstein - Romantic ruin, Eppstein 1997.

PIPER, OTTO; MEYER, WERNER, Burgenkunde. Bauwesen und Geschichte der Burgen ; [zunächst innerhalb des deutschen Sprachgebietes, Frankfurt am Main 1967.


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

1 RÜDIGER BERNGES, Über den militärischen Nutzen von frühen Schießscharten im deutschen Burgenbau, in: Burgen und Schlösser : Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege, 52, H. 1 2011, S. 22-37, S. 23.
2 WILFRIED PFEFFERKORN, Schießscharten an der Burg Rechberg, in: Burgen und Schlösser : Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege, 52, H. 1 2011, S. 38-54, S. 39.
3 OTTO PIPER, WERNER MEYER, Burgenkunde. Bauwesen und Geschichte der Burgen ; zunächst innerhalb des deutschen Sprachgebietes, Frankfurt am Main 1967, S. 335.
4 Ebd., S. 347-348.
5 BERNGES, S. 32.
6 MICHAEL LOSSE, Das Burgenbuch, Stuttgart 2013, S. 102-103.
7 Ebd., S. 9.
8 PFEFFERKORN, S. 53.
9 LOSSE, S. 92.
10 I. HOLL., Feuerwaffen und Stadtmauern. Angaben zur Entwicklung der Wehrarchitektur des 15. Jahrhunderts, in: Acta et studia Academiae scientiarum hungaricae, H. 33 1981, S. 201-243, S. 201-202.
11 LOSSE, S. 34.
12 Ebd., S. 131.
13 HOLL., S. 202-203.
14 LOSSE, S. 34.
15 Ebd., S. 102-103.
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Ebd., S. 41.
19 Ebd., S. 85.
20 HOLL., S. 234-235.
21 LOSSE, S. 43-45.
22 Ebd.
23 Ebd., S. 101.
24 PIPER, MEYER, S. 354.
25 LOSSE, S. 83.
26 Ebd., S. 106.
27 Vergleich s. Holl., Bernges, Pfefferkorn
28 LOSSE, S. 103.
29 LOSSE, S. 106.
30 BERNGES, S. 22-23.
31 Ebd., S. 25-26.
32 Ebd., S. 24-25.
33 Ebd., S. 25-26.
34 Ebd.
35 Ebd., S. 30.
36 Ebd., S. 26-28.
37 Ebd., S. 30-31.
38 Ebd., S. 35.
39 PFEFFERKORN, S. 53.
40 BERNGES, S. 26-28.
41 Ebd., S. 35.
42 BERTOLD PICARD, Eppstein Castle in the Taunus. Medieval fortress - Residence of the Lords of Eppstein - Romantic ruin, Eppstein 1997, S. 8.
43 Ebd., S. 9.
44 Blicke auf die Burg. Zeichnungen und Aquarelle des 19. Jahrhunderts aus den Beständen Karl August von Cohausen und Botho Graf zu Stolberg-Wernigerode im Germanischen Nationalmuseum ; der Band erscheint anläßlich der Ausstellung "Mythos Burg" im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, 8.7. - 7.11.2010, hg. v. NINA GÜNSTER, G. ULRICH GROßMANN, Nürnberg 2010, S. 62-63.
45 Ebd., S. 63-64.
46 PICARD, S. 11.
47 Ausweisung auf Informationstafel im Altangarten
48 Nachdruck einsehbar im Burgmuseum
49 Ausweisung auf Informationstafel in der Türmerstube

 

Abb. 1.: Zeichnung und Beschriftung: Maximiliane Neu (2019) in Anlehnung an: Piper, Otto, Burgenkunde, 1967 (S. 341)
Abb. 2.: Zeichnung und Beschriftung: Maximiliane Neu (2019) in Anlehnung an: Piper, Otto, Burgenkunde, 1967 (S. 342)
Abb. 3.: Zeichnung und Beschriftung: Maximiliane Neu (2019) in Anlehnung an: Piper, Otto, Burgenkunde, 1967 (S. 348)
Abb. 5.: https://www.openstreetmap.org/#map=19/50.14015/8.39232 [Stand 09.01.2019] (CC BY-SA: https://www.openstreetmap.org/copyright)
Abb. 4, 6-13.: Maximiliane Neu, 2018

 

Zitiervorschlag:
Neu, Maximiliane (2019): „Schießscharten“, in: urbs-mediaevalis.de/Studienportal/Gebäudetypologie, URL: http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/gebaeudetypologie/wehrbauten/schiessscharten.php

Autorengruppe: Studentinnen und Studentenletzte Aktualisierung dieser Seite: 06. Juni 2019
Autorin(nen) oder Autor(en)
: Maximiliane Neu PDF

 

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