urbs-mediaevalis.de

Bauwerkstypologie: Siechenhaus

Siechenhaus

Institution zur Beherbergung von an Lepra erkrankten Personen

Das Siechenhaus ist ein im Hochmittelalter errichtetes Gebäude, das den Zweck hatte, Gesunde von Kranken zu trennen, um eine Ansteckung zu vermeiden. Dies traf insbesondere für leprakranke Personen zu. Das Wort „siech“ kommt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet so viel wie „krank“ oder „aussätzig“. Weitere Begriffe für das „Siechenhaus“ sind die Leproserie, das Leprosorium, häufig auch „Leprosi in campi“, Leprahospital, Sondersiechen-, Feldsiechen-, Aussätzigen-, Melaten- und Gutleuthaus.1

Bild [1]: Standorte Leprosorien in Hessen„Die ältesten Leprahospitäler sollen im Orient im 3. und 4.Jh., im Abendland im 5.Jh. entstanden sein.“2 In Europa breitete sich die Lepra im 12. Jahrhundert rasant aus, so dass es auch hier vermehrt zum Bau von Melatenhäusern kam. Auch Deutschland blieb nicht verschont. Die Anzahl der an Lepra erkrankten Personen schoss in die Höhe. Ab dem 13. Jahrhundert gab es in diesem Gebiet ebenfalls einen regelrechten Bauboom der Aussätzigenhäuser. In Deutschland existierten 972 Standorte, 3 davon 68 in Hessen.4

Bild [1]: Standorte Leprosorien in Hessen [+]


In der Regel wurden Leprahospitäler außerhalb der Stadtmauern, an stark frequentierten Straßen, meist in der Nähe von Flüssen errichtet. Somit war eine Absonderung von den Wohnstätten der nicht erkrankten Menschen gewährleistet. Zumeist bestand ein Ensemble aus einer Umfassungsmauer, einem Friedhof, einer Kirche, einem Wirtschaftsgebäude und Aufenthaltsgebäuden. Einzelne Wohngebäude oder Reihenhausanlagen umgaben einen Hof oder verteilten sich rund um die Kirche.5

Die Baumaterialien sowie die Gestaltung der Gutleutehäuser sind sehr unterschiedlich. Eine charakteristische Bauart kann daher nicht bestimmt werden. Sehr oft wurden Siechenhäuser als Fachwerkbauten ausgeführt. Vereinzelt finden sich aber auch Massivbauten, insbesondere im Norden Deutschlands, zum Beispiel das Backstein-Leprosenhospital in Bardowick bei Lüneburg.6
 

Bild [2]: Boulogne-sur-Mer, ehem. Leproserie St. Madeleine   Bild [3]: Lageplan ehem. Leprosenhospital Bardowick bei Lüneburg
Bild [2]: Boulogne-sur-Mer, ehem. Leproserie St. Madeleine. Grundriss nach C. Enlart. Gründung 12.Jhd. [+]   Bild [3]: Lageplan ehem. Leprosenhospital Bardowick bei Lüneburg, vermutlich 18Jahrhundert (geostet). 1 Kapelle, 2 Frauenhaus, 3 Neues Mänenrhaus, 4. Altes Männerhaus, 5 Provisorat, 6 Organistenhaus, 7-9 Herrenpfründner Häuser [+]

Üblicherweise wurden die Wohnbereiche der Geschlechter voneinander getrennt. Wenn die Wohnkomplexe groß genug waren, konnten diese in verschiedenen Flügeln oder Geschossen untergebracht werden. Später erschienen auch Gebäude mit Mehrfachzimmern links und rechts eines Flures, deren Typologie an Pfründnerhäuser (Link) erinnert. In einer Institution befanden sich in der Regel ca. 20-30 Kranke. Ausnahme war beispielsweise das Melatenhaus bei Köln mit rund 100 Bewohnern.7

Mit Almosen und Bettelerlösen konnten sich die Kranken selbst versorgen. Stifter oder Gründer waren Könige, Fürsten, Bischöfe, Adelige, gelegentlich auch Klöster, Städte oder einzelne Bürger. Die Verwaltung lag zunächst in den Händen Geistlicher.8 Später wurden auch weltliche Verwalter und Organisatoren, wie zum Beispiel die Siechenmeisterin Else Weigen des Leprosoriums St. Georg bei Homberg/ Efze, als Aufsicht eingesetzt.9

Bild [4]: Gesamtansicht des bei St. Jost gelegenen Gebäudes   Bild [5]: Essen, altes Siechenhaus der Firma Krupp
Bild [4]: Gesamtansicht des bei St. Jost gelegenen Gebäudes, im Vordergrund wohl die alte B3 [+]
  Bild [5]: Essen, altes Siechenhaus der Firma Krupp [+]


Mit dem allmählichen Verschwinden der Lepra im 15. Jahrhundert wurden die Gutleuthäuser in Pfründnerhäuser, Altenheime und sonstige Herbergen umgewandelt.
 

Tabelle [1]: nach: Leprosorien in Deutschland), Belker-van den Heuvel, Jürgen; Mitarbeit: Weisler, Jonas, 2014
Tabelle [1] nach: Leprosorien in Deutschland), Jonas Weisler, 2014 [+]


Heute gibt es kaum noch Anzeichen für die einstigen Leproserien. Lediglich die Lage außerhalb der Stadtmauern, Flur- und Straßennamen sowie urkundliche Erwähnungen geben Hinweise auf die frühen caritativen Institutionen.10 Ruinen und Teilbauten erinnern an einstige Siechenhäuser in Deutschland. Beispiele hierfür sind die Anlagen in Klein Grönau bei Lübeck, Bardowick in der Nähe von Lüneburg, Rothenburg ob der Tauber, Wurzach und die »Siechkobel« bei Nürnberg.11

 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Belker-van den Heuvel, Jürgen (2014): LeprosorienDeutschland_WeislerJonas2014_1. Unter Mitarbeit von Jonas Weisler. Hg. v. Gesellschaft für Leprakunde e.V. Münster. Tabelle in Bearbeitung der Gesellschaft für Leprakunde e.V., Münster. Auf der Grundlage der Forschungen von Jürgen Belker-van den Heuvel zusammengestellt von Jonas Weissler, 2014. Info@lepramuseum.de. www.lepramuseum.de. Veröffentlicht mit Genehmigung der Gesellschaft für Leprakunde e.V. sowie des Urhebers, 2014. Weitere Veröffentlichung vorbehalten.

Belker-van den Heuvel, Jürgen (1997): Dokumentation: Mittelalterliche Leprosorien im heutigen Hessen. In: Die Klapper 5 (1997). Münster. Online verfügbar unter http://www.lepramuseum.de/start.htm, zuletzt geprüft am 16.05.2014.

Druzynski v. Boetticher, Alexandra (2007): Die mittelalterliche Leproserie St. Nikolai in Bardowick. In: Architectura 37 (2007), S. 83–94. Online verfügbar unter http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PPN=PPN522561411_0037&DMDID=DMDLOG_0007, zuletzt geprüft am 12.04.2014.

Leistikow, Dankwart (1967): Hospitalbauten in Europa aus zehn Jahrhunderten. Ein Beitrag zur Geschichte des Krankenhausbaues. Ingelheim am Rhein: Boehringer.

Leistikow, Dankwart (1986): Die Leproserie als Sonderform des mittelalterlichen Hospitals. In: Architectura 16 (1986), S. 114–129.
Online verfügbar unter http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PPN=PPN522561411_0016&DMDID=dmdlog19, zuletzt geprüft am 12.04.2014.

Toson, Bettina (2012): Mittelalterliche Hospitäler in Hessen zwischen Schwalm, Eder und Fulda. Darmstadt: Hessische Historische Komm. Darmstadt. (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, Bd. 164).

Untermann, Matthias (2009): Handbuch der mittelalterlichen Architektur. Darmstadt: Wiss. Buchges.


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

1 Leistikow (1967), S. 33-35
2 Leistikow (1967), S. 33
3 Belker (2014), Tabelle
4 Belker (1997), k.A.
5 Leistikow (1986), S. 119
6 Untermann (2009), S. 117
7 Leistikow (1986), S. 121
8 Leistikow (1986), S. 120
9 Toson (2012), S. 66
10 Belker (1997), k.A.
11 Leistikow (1986), S. 119

Bild [1]: Belker (1997), online verfügbar unter http://www.lepramuseum.de/hessen.pdf , zuletzt geprüft am 24.05.2014.
Bild [2]: Leistikow (1986), S.124, Anm.41. Ursprünglich aus Bourgeoise, Albert: Lépreux et maladreries du Pas-de-Calais (Xe-XVIIIe siècles), Mémoires de la Commission Départementale des monuments historiques du Pas-de-Calais, 14, 2, 1972, S. 245-248
Bild [3]: Druzynski v. Boetticher (2007), S. 84., aus: Stadtarchiv Lüneburg, Karten und Pläne, K8C, Nr. 1-3
Bild [4]: Foto Marburg (1969), Aufnahme-Nr. 425.905; Bilddatei fm425905 Microfiche-Scan mi12624c11; Veröffentlicht mit Genehmigung von Bildarchiv Foto Marburg.
Bild [5]: Foto Marburg (1906-08), Aufnahme-Nr. 1.045.953; Microfiche-Scan mi04624g11; Veröffentlicht mit Genehmigung von Bildarchiv Foto Marburg.

Tabelle [1] nach: Leprosorien in Deutschland), Belker-van den Heuvel, Jürgen; Mitarbeit: Weisler, Jonas, 2014

 

Zitiervorschlag:
Fickenscher, Manuela (2014): „Siechenhaus“, in: urbs-mediaevalis.de/Studienportal/Gebäudetypologie, URL:<http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/gebaeudetypologie/sozialwesen/siechenhaus.php>

Autorengruppe: Studentinnen und Studentenletzte Aktualisierung dieser Seite: 25. Juni 2014
Autorin(nen) oder Autor(en)
: Manuela Fickenscher MF01-001 : PDF

print