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Bauwerkstypologie: Mikwe

Mikwe

 

1. Definition, Funktion und Vorschriften
 
Mikwe stammt von dem hebräischen Wort „Mikwa“ und bedeutet „Wasseransammlung“.1 Das rituelle Tauchbad dient im jüdischen Glauben der rituellen Reinigung und ist ein wichtiger Bestandteil des religiösen Reinigungsgesetzes,2 da im jüdischen Glauben Reinheit (hebräisch „Tahara“) und Unreinheit (hebräisch „Tuma“) eine wichtige Rolle spielen.3 Dies wird auch durch ein Bibelzitat verdeutlicht: „und ich will reines Wasser über Euch sprengen, dass ihr rein werdet“.4

Die Mikwe muss nach verunreinigenden Ereignissen und Handlungen besucht werden. Dazu zählen beispielsweise das Berühren von Aas oder menschlichen Leichnamen, die Menstruationsblutung, Geschlechtsverkehr, Kontakt mit krankhaften Blutflüssigkeiten sowie mit Samenflüssigkeit.5 Auch Geschirr und anderes Gerät musste gereinigt werden. Deshalb waren Mikwen in jeder jüdischen Gemeinde unerlässlich.6

Bei der Benutzung der Tauchbäder müssen verschiedene Vorschriften eingehalten werden: Das Untertauchen in der Mikwe muss ausschließlich in lebendigem Wasser geschehen, also beispielsweise in Grundwasser, Quellwasser, anfallendem Wasser wie Regen und Schnee oder fließendem Wasser wie Flüssen oder Bächen. Außerdem muss das Wasser natürlichen Ursprungs sein und darf nicht zur Mikwe transportiert werden.7 Nur unter besonderen Voraussetzungen durfte auch natürliches Gewässer zum Untertauchen benutzt werden.8 Vor Beginn der Reinigung muss die Person sich waschen, ihre Haare öffnen sowie Kleidung und Schmuck vom Körper entfernen.9

Gerade bei den Frauen bedeutete das Ritual der Reinigung eine Verschmelzung von religiöser Lebensordnung und persönlicher Lebenssphäre. Die zurückgezogenen Räume der Mikwe waren zugleich Frauenräume, Orte der Kommunikation der Frau und der gefühlten Initiation (Tod und Wiedergeburt). Auf der anderen Seite waren diese Tauchbäder aber auch Ausdruck einer von Männern geprägten religiösen Vorstellung von Reinheit und Unreinheit, von Körper und Sexualität.10 Für Frauen galten teilweise besondere Regeln: So hatte "die Benutzung einer Mikwe durch die Frau diskret zu erfolgen".11
 

2. Geschichte

Seit biblischer Zeit ist das rituelle Tauchbad überall dort verbreitet, wo das Judentum sich ansiedelte. Es wird angenommen, dass in der Zeit König Davids um 1000 v. Chr.12 die Gihonquelle im Kidrontal bei Jerusalem außer für Trinkwasser auch für das Tauchbad genutzt wurde.13

Die rituellen Reinigungen haben ihren Ursprung im biblischen Tempeldienst und wurden nach der Zerstörung des zweiten Tempels um 70 n. Chr.14 in Jerusalem durch rabbinische Gelehrte für den privaten religiösen Alltag praktikabel gemacht. Ursprünglich waren sie ausschließlich für den Tempel gedacht, da man den Tempel nur rein betreten durfte.15 Dies konnte durch erste archäologische Funde aus der Zeit um die Zerstörung des zweiten Tempels in Jerusalem in Masada, bei den Synagogen Maon, Gamala und Herodium bewiesen werden.16

Durch die Ansiedlung der Juden in Europa kamen die Tauchbäder auch dorthin. Die Vorschriften zur Benutzung der Mikwe wurden durch jüdische Gelehrte und Meister von Italien aus, dann über die Alpen und über Frankreich nach Deutschland verbreitet.17

Die frühesten sicher datierten Mikwen entstanden im deutschen Raum im 12. Jahrhundert in Köln, Worms, Speyer (vgl. Abb. 1) und Friedberg.18 Ihre Baugestalt spiegelte Größe, Bedeutung und Reichtum einer jüdischen Gemeinde wieder. Mit der Vertreibung, Verfolgung und dem wirtschaftlichen Untergang im ausgehenden Mittelalter der jüdischen Gemeinden in Europa entstanden nur noch kleine Mikwen.19

 

Abbildung 1: Das Judenbad in Speyer (1934) [+]

 

 3. Konstruktion

Das Tauchbad ist von der ursprünglichen Quelle seines Wassers abhängig. Diese konnte von einfachen Wasserschächten bis hin zu komplizierten Installationssystemen reichen. Das Tauchbecken muss mindestens 40Sea (250-800 Liter)20 Wasser enthalten und die Höhe muss 1,20 Meter betragen, um einer stehenden Person durch Bücken ein Untertauchen zu ermöglichen.21
Bei den erhaltenen Mikwen mittelalterlicher Zeit in Deutschland handelt es sich meist um Grundwassermikwen. Bescheidene Mikwen für den privaten Bereich und bei kleineren jüdischen Gemeinden konnten vom Keller (Kellermikwe) eines Hauses aus zugänglich sein, wie in Würzburg, Limburg an der Lahn und Rothenburg ob der Tauber.22 Sie werden zum Teil durch in den Schacht eingebrachte Plattformen und Holztreppen zugänglich gemacht.23

Die größeren Mikwen, die als separat stehende Gebäude errichtet wurden, werden als Monumentalmikwen bezeichnet. In diesen befand sich die zum Becken hinabführende Treppe aus Stein manchmal im Badeschacht (vgl. Abb. 2), manchmal auch als langgezogene Treppe außerhalb des Schachtes, wie in Köln, Worms, Speyer und Friedberg.24 Dieser Schacht konnte wie in Friedberg 24,97m tief bis zum Tauchbecken reichen.25
Der untere Bereich des Badebeckens besteht meist aus abgetreppten, langen, flachen Großquadern, die vermutlich als Eintrittsort für das Grundwasser dienen sollten. Alternativ wurden in diesem Bereich Basaltsäulen mit darüber liegenden hölzernen Schwellbalken verwendet. Meistens führte eine Treppe direkt ins Becken, um auf den Wasserstand zu reagieren und wiederum jedem das Benutzen zu ermöglichen.26

Abbildung 2: Judenbad Friedberg, Innenansicht (Treppenanlage, Tauchbecken) [+]

 

4. Regionalbeispiel

    Das in Hessen liegende Friedberger Judenbad ist die größte Anlage in der Reihe mittelalterlicher Monumentalmikwen.27
Diese Mikwe besteht aus einem ca. 24,97 Meter tiefen Badeschacht, der eine lichte Weite von 5,50 Meter besitzt und oberhalb des Bodenniveaus überbaut ist (vgl. Abb. 3). Von dort führt eine innenliegende Treppe in den Badeschacht. Die sieben Treppenläufe, von denen jede elf Stufen besitzt, führen an den Ecken des quadratischen Schachtes an Säulen vorbei, die kleine Bögen tragen. Darüber steht bis zu 5,0 Meter hoch das Wasser im Schacht.28 Die architektonischen Details wie Sockel, Kämpferplatten, Kapitelle oder die Form der Wandnischen weisen auf die Zeit um 1260 hin.29 Dies wird auch durch eine Inschrift in einer der Blendnischen in römischen Ziffern gestützt.30
Im Scheitel des Tonnengewölbes befindet sich eine achteckige Öffnung, die nur wenig Licht in den Schacht bringt. Die Säulen, Kapitelle, Basen, aber auch Halbbögen und das Quadermauerwerk sind aus rotem Bellmuther Sandstein gearbeitet. Die Wandflächen das Badeschachts sind verputzt und durch hohe spitzbogige Blendnischen gegliedert. Diese dienen auch gleichzeitig zur Aussteifung. Sämtliche Stilelemente finden sich in ähnlicher Weise an der zeitgenössischen Architektur christlicher Kirchen wieder.31
Abbildung 3: Querschnitt des Friedberger Judenbades [+]
 
 

 

 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Altaras, Thea (2007): Synagogen und jüdische rituelle Tauchbäder in Hessen - was geschah seit 1945? Eine Dokumentation und Analyse aus allen 264 hessischen Orten, deren Synagogenbauten die Pogromnacht 1938 und den Zweiten Weltkrieg überstanden: 276 architektonische Beschreibungen und Bauhistorien. [2. Aufl.]. Königstein im Taunus: Langewiesche Nachf. Köster (Die blauen Bücher).

Augustin, Katja.: Das Judenbad in Friedberg (Hessen). Unter Mitarbeit von Katja Augustin. Hg. v. Wetterau-Museum. Online verfügbar unter http://www.iem.thm.de/mi-projekte/fbhistorisch/Judenbad_Friedberg.pdf; zuletzt geprüft am 11.02.2017

Backhaus, Fritz (Hg.) (2010): Ganz rein! Jüdische Ritualbäder; Fotografien von Peter Seidel ; [eine Ausstellung der Jüdischen Museen Franken, Frankfurt am Main, Hohenems und Wien ; Jüdisches Museum Hohenems: 7. März - 3. Oktober 2010 … ; Jüdisches Museum Wien, Museum Judenplatz: Jänner - Dezember 2012]. Unter Mitarbeit von Peter Seidel. Jüdisches Museum Franken; Jüdisches Museum Hohenems. 1. Aufl. Wien: Holzhausen.

Die Bibel. Altes Testament. Buch Hesekiel (Ezechiel), Kapitel 36, Vers 25. Online verfügbar unter
http://www.bibel-verse.de/vers/Buch%20Hesekiel%20(Ezechiel)/36/25.html, zuletzt geprüft am 12.02.2017

Heuberger, Georg (Hg.) (1992): Mikwe: Geschichte und Architektur jüdischer Ritualbäder in Deutschland. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Frankfurt am Main, 10. September - 15. November 1992. Frankfurt; Jüdisches Museum. Frankfurt am Main: Jüdisches Museum.

Reuter, Ursula (2013): Jerusalem am Rhein. Die SchUM-Gemeinden Speyer, Worms und Mainz. Köln: Bittner (Beiträge zur rheinisch-jüdischen Geschichte, H. 3).

Schäfer, Joachim: Artikel David, aus dem Ökumenischen Heiligenlexikon. Online verfügbar unter https://www.heiligenlexikon.de/BiographienD/David.htm, zuletzt geprüft am 12.2.2017

Untermann, Matthias (2009): Handbuch der mittelalterlichen Architektur. Darmstadt: Wiss. Buchges.
 


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

1 FRITZ BACKHAUS (Hrsg.), Ganz rein!, Jüdische Ritualbäder ; Fotografien von Peter Seidel ; [eine Ausstellung der Jüdischen Museen Franken, Frankfurt am Main, Hohenems und Wien ; Jüdisches Museum Hohenems: 7. März - 3. Oktober 2010 … ; Jüdisches Museum Wien, Museum Judenplatz: Jänner - Dezember 2012], 1. Aufl., Wien, 2010, 13
2 THEA ALTARAS, Synagogen und jüdische rituelle Tauchbäder in Hessen - was geschah seit 1945?, Eine Dokumentation und Analyse aus allen 264 hessischen Orten, deren Synagogenbauten die Pogromnacht 1938 und den Zweiten Weltkrieg überstanden: 276 architektonische Beschreibungen und Bauhistorien, 2. Aufl., Königstein im Taunus, 2007, 31
3 BACKHAUS (Fn. 1), 12
4 Die Bibel. Altes Testament. Buch Hesekiel (Ezechiel), Kapitel 36, Vers 25.
http://www.bibel-verse.de/vers/Buch%20Hesekiel%20(Ezechiel)/36/25.html
5 BACKHAUS (Fn. 1) 12
6 MATTHIAS UNTERMANN, Handbuch der mittelalterlichen Architektur, Darmstadt, 2009, 162-163
7 ALTARAS (Fn. 2) 31
8 UNTERMANN (Fn. 6), 162-163
9 URSULA REUTER, Jerusalem am Rhein, Die SchUM-Gemeinden Speyer, Worms und Mainz, Köln, 2013, 35

10 BACKHAUS (Fn. 1) 6
11 HANS-HELMUT HOOS, Kehillah Kedoschah - Spurensuche, Geschichte der jüdischen Gemeinde in Friedberg ; auf den Spuren der Friedberger Juden von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Frankfurt/M., 2009
12 HEILIGENLEXIKON, https://www.heiligenlexikon.de/BiographienD/David.htm, Stand 11.02.2017
13 ALTARAS (Fn. 2) 34
14 BACKHAUS (Fn. 1), 16
15 BACKHAUS (Fn. 1), 15
16 ALTARAS (Fn. 2), 34
17 ALTARAS (Fn. 2), 34
18 UNTERMANN (Fn. 6), 163
19 BACKHAUS (Fn. 1) 18
20 ALTARAS (Fn. 2) 34
21 ALTARAS (Fn. 2) 34
22 BACKHAUS (Fn. 1) 17
23 UNTERMANN (Fn. 6), 163

24 UNTERMANN (Fn. 6), 163
25 ALTARAS (Fn. 2) 39
26 BACKHAUS (Fn. 1) 26
27 K. AUGUSTIN, Das Judenbad in Friedberg (Hessen), http://www.iem.thm.de/mi-projekte/fbhistorisch/Judenbad_Friedberg.pdf, 1
28 K. AUGUSTIN, Das Judenbad in Friedberg (Hessen), http://www.iem.thm.de/mi-projekte/fbhistorisch/Judenbad_Friedberg.pdf, 1
29 GEORG HEUBERGER (Hrsg.), Mikwe: Geschichte und Architektur jüdischer Ritualbäder in Deutschland, Eine Ausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Frankfurt am Main, 10. September - 15. November 1992, Frankfurt am Main, 1992, 32
30 HEUBERGER (Fn. 29), 32
31 K. AUGUSTIN, Das Judenbad in Friedberg (Hessen), http://www.iem.thm.de/mi-projekte/fbhistorisch/Judenbad_Friedberg.pdf, 1

 

Abbildung 1: Das Judenbad in Speyer (1934), Aufnahme-Nr. Z 24.081; Veröffentlicht mit Genehmigung von Bildarchiv Foto Marburg.
http://www.bildindex.de/document/obj20678661/mi02936e03/?part=0; zuletzt geprüft am 11.02.2017

Abbildung 2: H. Kratz (1902), Schnitt des Freiberger Judenbades; Bildrechte beim Stadtarchiv Friedberg - Grafik, vom Rechteinhaber zur Verfügung gestellt; CC BY-SA 3.0; https://de.wikipedia.org/wiki/Mikwe_in_Friedberg_(Hessen)#/media/File:Judenbad_Friedberg_Schnitt_v._Hubert_Kratz.jpg, zuletzt geprüft am 11.02.2017

Abbildung 3: Judenbad Friedberg, Innenansicht; Stadtarchiv Friedberg - Fotografie, zur Verfügung gestellt von K. Augustin, Stadtarchiv Friedberg; CC BY-SA 3.0; https://de.wikipedia.org/wiki/Mikwe_in_Friedberg_(Hessen)#/media/File:Judenbad_Friedberg_Innenansicht_f._Wikipedia_Foto_K.Augustin.jpg, zuletzt geprüft am 11.02.2017

 

Zitiervorschlag:
Dreuth
, Christian (2017): „Mikwe“, in: http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/gebaeudetypologie/sakralbauten/mikwe.php

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 23. November 2017
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: Dreuth, Christian PDF

 

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