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Kapellenanbau in Nierstein

Kapellenbeschreibung am Beispiel des Kapellenanbaus am Gebäude Marktplatz 5 in Nierstein

Das Haus ‚Marktplatz 5‘ liegt, wie der Straßenname verrät, am Marktplatz in Nierstein und gehört zu den Adelsgütern aus der Barocken Zeit, da es 1664 n. Chr. erbaut worden ist. Auf der Rückseite des Hauses ist der Gutshof, wo sich der Kapellenanbau befindet, und weitere Nebengebäude aus verschiedenen Epochen errichtet wurden.
 

Bild [1]: Ausschnitt des Stadtkatasters Nierstein (o.M.)   Bild [1]: Der Ausschnitt des Stadtkatasters Nierstein (o.M.) zeigt die Gebäude, die an den Marktplatz angrenzen. Das Grundstück mit allen Liegenschaften ist farblich gekennzeichnet. [+]
 


Die Kapelle, die an der Gebäudeecke angebaut wurde, steht nicht diagonal zu dieser, sondern verlängert die Südwest-Fassade des Hauses. Auf der Hofseite (Nordwest) war der Kapellenanbau einst ebenerdig zu betreten. In Bezug zu den Geschossen des Hauses ist der Anbau jedoch in der Höhe versetzt und über das Podest der Treppe zugänglich. Die Lage der Kapelle am Treppenhaus erscheint ungewöhnlich im Vergleich zu den Kapellenanbauten, die bei der Kapellenforschung als Beispiele aufgeführt wurden und zumeist an größere Räume anschlossen. Der Keller, dessen Zugang ebenfalls an dieser Stelle untergebracht ist, deutet aufgrund der vergitterten Kellerinnenfenster auf die Nutzung der Kellerräume für Gefängniszellen hin. Dies lässt die Spekulation zu, dass die Kapelle vielleicht der letzte Ort für eine Andacht der Gefangen vor ihrem Richtspruch gewesen sein könnte und der Bauherr deswegen die Kapelle nicht seinen Privaträumen zugeordnet hat. Ein anderer Ansatz könnte sein, dass es architektonisch auch keine weitere Möglichkeit für einen Kapellenanbau auf der Rückseite des Hauses als an dieser Stelle gab, weil auf der gegenüberliegenden Hausecke der Nordwest-Fassade ein weiterer kleiner Anbau war.

Bild [2]: Obergeschoss-Grundrisses (o.M.)   Bild [2]: Die beschriebene Kapelle ist rot, das Adelshaus orange und der kleine Anbau gelb eingefärbt. Anhand des Obergeschoss-Grundrisses (o.M.) ist sich der ursprüngliche Entwurfsgedanke gut zu erkennen. [+]
 

Die Errichtung einer Kapelle an diesem Adelsgut im 17. Jhd. n. Chr. ist der Kapellenforschung nach nicht mehr nur mit dem christlichen Glauben, der im Zusammenhang mit der Kellernutzung sicher eine Rolle für das Haus spielt, sondern auch durch das Repräsentationsbedürfnis des Adelsgeschlechts zu begründen. Die ursprünglich eingebauten Oval-Fenster, die durchaus als barockes Stilelement der gehobenen Adelsgesellschaft einzuordnen sind, verdeutlichen, dass es dem ‚Haus Knebel‘ einerseits um Prestige ging, andererseits weist die außergewöhnliche Fensterform auf eine besondere Nutzung der Innenräume hin, denn die Fenster des Hauses und des kleinen Anbaus hingegen sind rechteckig.
 

Bild [3]: Fotografie des Kapellenanbaus (Hofseite)   Bild [3]: Auf der Fotografie sind die zugemauerten Öffnungen sowie das Pyramidendach des Kapellenanbaus, die hofseitig liegen, zu sehen. [+]
 

Der Grundriss des zweigeschossigen Kapellenanbaus entspricht nicht den im Mittelalter üblichen Grundrissformen (s. Kapellenforschung), da die Kapelle aus je einem Hauptraum und einem Nebenraum pro Geschoss besteht. Der annähernd polygonale Hauptraum ist an seiner Hauptfassade (der Nordwest-Fassade) mit konkav-konvex geschwungenen Wänden gestaltet. Der Nebenraum, dessen Wände ebenfalls diese Schwingungen aufweisen, ist ein Viertelkreis und lässt den Übergang zwischen dem Kapellenhauptraum und dem Haus weicher wirken. Die ovalen Fenster mit den roten Sandsteingewänden, die geschwungenen Wände und die sanften Übergänge sind typische Stilelemente des Barocks, sodass die Kapelle bauzeitlich mit dem Haus um 1664 n. Chr. entstanden sein könnte.

Die Decke des obergeschossigen Hauptraumes ist leicht gewölbt, was durch die Dachkonstruktion ermöglicht wird. Bei der Dachform handelt es sich um ein Pyramidendach, dass an der Dachspitze seine Form zu einem Walmdach ändert um an das Dach des Hauses anzuschließen. Die Neigung ist entspricht dem gleichen Winkel des Hausdaches, wodurch ein einheitliches Gefüge entsteht. Das Dach über dem Nebenraum ist entsprechend seiner geringeren Bedeutung nur als flaches Pultdach geformt.
 

Bild [4]: Fotografie des Hauptraumes des Kapellenanbaus   Bild [4]: Die Fotografie des erdgeschossigen Hauptraumes zeigt die im nachfolgenden beschriebenen Veränderungen, die an der Kapelle vorgenommen worden sind. [+]
 

Im Zuge der Neu- bzw. Umgestaltung des Hauses sind auch Veränderungen an der Kapelle vorgenommen worden, was die Deutung der verbliebenen Bausubstanz erschwert. Manche nachträgliche Eingriffe lassen sich leicht erkennen, wie etwa die teilweise und die ganz zugemauerten ovalen Fenster und das Einbringen von neuen Wänden, was den Grundriss deutlich verunklart. Bei anderen Veränderungen handelt es sich eventuell um Ausbesserungen wie im Falle der Zwischendecke, der zwei stark dimensionierte Balken untergesetzt wurden. Die Decke selbst gehört dem Schnitt und den verwendeten Materialien nach zum Ursprungsbau. Wäre die Decke an dieser Stelle nicht eingesetzt worden, so hätten die Erd- und Obergeschosswände die gleiche Mauerstärke. Bei den Materialien handelt es sich um Schilfrohrmatten, die zur damaligen Zeit als Putzträger (der Deckenbekleidung) unter Holzbalkendecken dienten, und den breiten alten Dielen im Oberschoss.
 

Bild [5]: Fotografie der Südwest-Fassade des Kapellenanbaus
Bild [5] Die durchlaufende Wandfläche sowie die gleiche Traufhöhe führen die Südwest-Fassade des Adelshauses in die Kapelle fort, wodurch sich diese miteinander verbinden. Das es sich um zwei Baukörper handelt ist erst bei genauerer Betrachtung an den unterschiedlichen Firsthöhen und dem Versatz im Sockel festzustellen. [+]
 

weiterführende Informationen unter: Bauteiltypologie>Kapellenartige Anbauten


Abbildungsverzeichnis

Bild [1]: Ausschnitt des Stadtkatasters Nierstein (o.M.)
Von dem Bauherrn Manfred Strub ausgehändigte Projektdaten für die Studienarbeit im Fach ‚Historische Stadtentwicklung‘
Planunterlagen des Stadtkatasters stammen von:
Vermessungs- und Katasteramt Rheinhessen-Nahe
Ostdeutsche Straße 28
55262 Alzey
Bild [2]: Obergeschoss-Grundrisses (o.M.)
Nachzeichnung der Aufmaßpläne der Vermessung von:
Historische Bauforschung
Lorenz Frank M.A.
Emmerich-Josef-Str. 13
55116 Mainz
Bild [3]: Fotografie des Kapellenanbaus (Hofseite) von Jessica Roscher
Bild [4]: Fotografie des Hauptraumes des Kapellenanbaus von Jessica Roscher

Bild [5]: Fotografie der Südwest-Fassade des Kapellenanbaus von Jessica Roscher

 

Zitiervorschlag:
Roscher, Jessica (2014): „Kapellenbeschreibung am Beispiel des Kapellenanbaus am Gebäude Marktplatz 5 in Nierstein“, in: urbs-mediaevalis.de/Studienportal/Bauteiltypologie, URL: http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/bauteiltypologie/bauteile-k/kapellenanbau-in-nierstein.php

Autorengruppe: Studentinletzte Aktualisierung dieser Seite: 28. August 2015
Autorin(nen) oder Autor(en)
: Jessica Roscher JR01-010 : PDF

 

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