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8 Bauanalyse, stilistische Einordnung und Datierung
8.5 Bauanalyse des Westturmes
Auf der Basis der bisher gewonnenen Ergebnisse soll versucht werden, Thesen zur Baugeschichte des Westturmes aufzustellen. Ausgehend von einigen im Turm vermauerten Spolien sollen abschließend einige Überlegungen zur Wölbung der einzelnen Bauteile der Walpurgiskirche formuliert werden.
Es ist nicht auszuschließen, dass bereits der Vorgängerbau der frühgotischen Basilika über einen Westturm verfügte. Ob die dicken Mauern des Turmes, die in das Langhaus einspringen, der Bauzeit der frühgotischen Basilika entstammen, muss ungeklärt bleiben. Dafür sprächen die bauzeitlichen Konsolen an der Westwand des Turmes, die allerdings auch ihre Zweitverwendung dort gefunden haben könnten. Argumente für eine nachträgliche Verstärkung der Turmwände sind die Verkürzung des westlichen Mittelschiffsjoches und die mächtigen Proportionen des Turmes im Vergleich zu frühgotischem Langhaus und Chor.
Die unteren Turmgeschosse mit ihren weitgehend ungegliederten Wänden und den kleinen Fenstern scheinen eher der romanischen Epoche verhaftet, die Konsolen und Kreuzrippengewölbe der Turmhalle dagegen entstammen sicher der Epoche des spätgotischen Umbaus.
Ungeklärt ist das Ausmaß des Turmeinsturzes 1394. Mengel vertritt die Ansicht, der Turm sei in Höhe des Glockengeschosses nach Westen abgerutscht.293 Diese These korrespondiert mit dem Baubefund des benachbarten Ensembles aus drei Fachwerkhäusern, das nur durch einen schmalen Durchgang vom Westturm getrennt ist (Abb. 2).
Abb. 2: Gesamtanlage der historischen Altstadt [+] |
Das Freie Institut für Bauforschung und Baudokumentation Marburg attestierte 1986, dass der vom Marktplatz aus gesehene vordere linke Bauteil aus dem Jahr 1350 stamme, der rechte vordere Teil aus dem Jahr 1396, der hintere Teil Richtung Schwälmer Brunnen etwa aus dem Jahr 1460.294 Es spricht vieles dafür, dass der dem Turm zugewandte Teil 1394 durch das abrutschende Turmobergeschoss zerstört und zwei Jahre später neu errichtet wurde. Der Schaden scheint aber lokal begrenzt gewesen zu sein, so dass der unmittelbar anschließende Gebäudeteil unzerstört blieb.
Im Rahmen einer Turmrestaurierung im Jahr 2004 wurden Aufnahmen vom Baugerüst gemacht. Dabei fielen auf der Westseite des Turmes in Höhe der Strebepfeilerköpfe eingemauerte Spolien ins Auge (Abb. 256, auch Abb. 32). Es sind die Anfänger eines Rippengewölbes aus drei gekehlten Rippen, möglicherweise eine Gurt- und zwei Diagonalrippen in gleicher Profilierung, so wie es für die Wölbung der Alsfelder Walpurgiskirche charakteristisch ist.
Abb. 256: Walpurgiskirche, Westturm, Spolien [+] | Abb. 32: Walpurgiskirche, Westturm, Strebepfeilerköpfe [+] |
Geht man davon aus, dass dieser Teil des Turmes ebenfalls noch durch den Einsturz in Mitleidenschaft gezogen und nach 1394 neu aufgebaut wurde,295 so stellt sich die Frage, ob die Gewölbespolien einem früheren Bauteil der Walpurgiskirche entstammen könnten.
Die Anfänger aus drei gekehlten Rippen können nicht dem Mittelschiff entstammen, dessen Anfänger aus geschärften Rundwulsten bestehen.
Beide Seitenschiffe wurden wahrscheinlich bauzeitlich gewölbt, das südliche Seitenschiff vor 1347, das nördliche Seitenschiff vielleicht Ende der 1380er Jahre. Der Rippenquerschnitt der Seitenschiffsgewölbe stimmt mit den Formen der Spolien überein. Wenn jedoch das Turmobergeschoss nach Westen abgerutscht wäre, so wären die Schäden am Kirchendach sicherlich begrenzt geblieben. Die Spolien sind darüber hinaus intakt, man hätte sie also für eine eventuelle Reparatur wiederverwenden können.
Vielleicht verdanken sich die Spolien jedoch gar nicht einem durch den Turmeinsturz zerstörten Gewölbe, sondern fielen bei den kurz zuvor in Angriff genommenen Umbauarbeiten an, zu denken wäre an den nach 1393 abgebrochenen frühgotischen Chor.296 Der alte Chor war als liturgisch ausgezeichnetes Bauteil wahrscheinlich gewölbt, doch wäre ein Kreuzrippengewölbe aus beidseitig gekehlten Rippen für die Bauzeit und die Kunstregion eher ungewöhnlich. Ohne ein Aufmaß der Spolien im Obergeschoss des Turmes und zumindest der noch vorhandenen Rippenprofile der Walpurgiskirche müssen Thesen zu dieser Frage spekulativ bleiben.
Literatur- und Quellenverzeichnis
Bauer-Bornemann 2004. Dokumentation der Maßnahmen im Rahmen der Turmsanierung der Walpurgiskirche Alsfeld von Juni bis Oktober 2004, Bamberg 2004
Kluge 1986. Kluge, H.A.: Markt 2: Zweite Entkernungsphase – Sanierung denkmalgerecht geplant, in: Oberhessische Zeitung vom 26.6.1986, S. 13
Zietz 2002. Zietz, Peer: Stadt Alsfeld, Stuttgart 2002 (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland : Kulturdenkmäler in Hessen : Vogelsbergkreis, Bd. 1)
Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis
293 Gespräch mit Herrn Mengel. Entsprechende Spuren am Glockengeschoss sind m.E. nicht zu erkennen.
294 Kluge 1986, S. 13
294 Kluge 1986, S. 13
295 Für diese These sprächen auch die spätgotisch anmutenden, fast schon der Frührenaissance verhafteten Strebepfeilerköpfe.
296 Der Vorgängerbau der Sakristei, der ebenfalls Ende des 14. Jahrhunderts abgebrochen wurde, scheidet aus. Wenn er gewölbt war, so saßen die Gewölbeanfänger sicherlich in den Ecken und nicht an den geraden Wänden.
296 Der Vorgängerbau der Sakristei, der ebenfalls Ende des 14. Jahrhunderts abgebrochen wurde, scheidet aus. Wenn er gewölbt war, so saßen die Gewölbeanfänger sicherlich in den Ecken und nicht an den geraden Wänden.
Abb. 2: Zietz 2002
Abb. 32: Schmelz, Annette 2008
Abb. 256: Schaper 2001
Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche Alsfeld“, in:
www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php
letzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019 Autorin(nen) oder Autor(en): Schmelz, Annette PDF |