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8 Bauanalyse, stilistische Einordnung und Datierung

8.2.1.1 Fenster

 
Die Fensterlaibung in Form einer tiefen, beidseitig abgefasten Hohlkehle (Abb. 34 und 35) findet sich in vergleichbarer Form beispielsweise an den Westtürmen der Marburger Elisabethkirche (Abb. 178) sowie an den Fenstern der Marienkirche in Frankenberg (Abb. 179). Die Fensterpfosten sind in Alsfeld nicht gekehlt oder abgetreppt wie in der Elisabethkirche und in Frankenberg, sondern nur abgeschrägt.
 
 
 
Abb. 34: Walpurgiskirche, Fenster des Südseitenschiffes, Zeichnung von Mengel [+]   Abb. 35: Walpurgiskirche, Fenster des Südseitenschiffes [+]
     
 
Abb. 178: Marburg, Elisabethkirche, Giebelfeld des südlichen Westturmes [+]   Abb. 179: Frankenberg, Stadtpfarrkirche, Fenstergewände [+]

 

Die Fensterbahnen des Alsfelder Südseitenschiffes enden korbbogig, eine für die Kunstregion eher untypische Lösung.226 Das Maßwerk ist in Alsfeld in zwei Ebenen organisiert, die eingeschriebenen Formen liegen eine Ebene tiefer als die Formen erster Ordnung.

Das Maßwerk im Bogenfeld der beiden Türen und in der unteren Hälfte des westlichen Fensters wurde im Zuge der Restaurierung 1913/14 neu geschaffen.227 Das Maßwerk der übrigen Fenster jedoch dürfte bauzeitlich einzuordnen sein.228

 



Abb. 180: Oppenheim, Katharinenkirche, Südfront des Langhauses, Maßwerkfenster [+]

 

 

Im Couronnement der Fenster dominieren Kreise und Bogenformen mit eingeschriebenen Drei- und Vierblättern und -pässen, die sich als straßburgisches Formengut zu erkennen geben.
Im östlichen Fenster des Alsfelder Südseitenschiffes (Abb. 35) ist das Bogenfeld durch drei radial angeordnete Bogenvierecke mit eingeschriebenen Vierblättern geschmückt.
 
Das Motiv findet sich nach 1314 an der Marburger Elisabethkirche in den Giebelfeldern des südlichen Turmes (Abb. 178).229 Die Form der Marburger Turmfenster wird übernommen im 1353 geweihten Chorneubau230 der Frankenberger Stadtpfarrkirche (Abb. 181), die in der Nachfolge der Elisabethkirche steht. Das Motiv könnte direkt von Marburg oder vermittelt über Frankenberg  nach Alsfeld gelangt sein.
 
 
Abb. 181: Frankenberg, Stadtpfarrkirche, Fenster im Chor [+]   Abb. 182: Walpurgiskirche, Südseitenschiff, westliches Fenster [+]

 

Im zweiten Fenster von Osten finden sich an der Walpurgiskirche drei gestapelte Kreise, denen stehende Vierpässe eingeschrieben sind. Das Motiv findet sich bereits um 1255/57 im Straßburger Riss A im Blendmaßwerk neben dem Hauptportal. Gestapelte Kreise mit eingestellten Pässen,  meist über drei Bahnen, sind Ende des 13. Jahrhunderts und im 14. Jahrhundert weit verbreitet231 und sollen daher für die kunsthistorische Einordnung nicht herangezogen werden.
Seltener und daher ertragreicher für einen Vergleich ist das Maßwerk des westlichen Fensters im Alsfelder Südseitenschiff (Abb. 182). Einem Kreis sind vier Bogendreiecke eingeschrieben, die mit Dreiblättern gefüllt sind. Ihre Spitzen sind nach außen gerichtet. In der Mitte des Kreises bildet sich dadurch ein Bogenviereck mit einschwingenden Seiten, das mit einem kleinen Vierblatt gefüllt ist. Die Zwickel am Kreisrand sind gefüllt mit zentripetal angeordneten genasten Spitzbogen.
Das gleiche Motiv findet sich im Rundfenster über dem Frankenberger Südportal (Abb. 183). Mit dem Bau der Frankenberger Kirche wurde 1286 begonnen, der erste Chor war um 1300 fertiggestellt. Im Anschluss wurde das Querhaus gebaut, das Langhaus wurde um 1337 vollendet (Abb. 184).232 Das Rundfenster befindet sich auf der Südseite des Langhauses im zweiten östlichen Joch. Die Entstehungszeit des Fensters lässt sich nicht genau festlegen, es dürfte jedoch deutlich vor 1337 entstanden sein, vielleicht in den 1320er Jahren.
 
 
Abb. 183: Frankenberg, Stadtpfarrkirche, Rundfenster über dem Südportal [+]   Abb. 184: Frankenberg, Stadtpfarrkirche, Grundriss mit Bauphasen von
Schmidtmann [+]

 

Das westliche Fenster in Alsfeld ist sehr wahrscheinlich auf das Frankenberger Rundfenster zurückzuführen. Dieses gäbe dann mit seiner mutmaßlichen Entstehungszeit einen terminus post quem für die Umbaumaßnahmen am Alsfelder Südseitenschiff.
 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Schaper 2001. Schaper, Eckehardt: Bericht zu den Voruntersuchungen im Äußeren der Walpurgiskirche in Alsfeld, durchgeführt 2001 (unveröffentlicht, im Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Außenstelle Marburg, Archiv der Abteilung
Baudenkmalpflege)

Dehio-Cremer I 2008. Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hessen I, Regierungsbezirke Gießen und Kassel, bearb. von Folkhard Cremer, München [u.a.] 2008

Mengel 1994. Mengel, Karl A.: Die Walpurgiskirche zu Alsfeld. Versuch einer Deutung der Entstehungsgeschichte der Alsfelder Hauptkirche, in: Mitteilungen des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld, 15, 1994, Nr. 2, S. 14-44

Michler 1972. Michler, Jürgen: Die Walpurgiskirche zu Alsfeld. Ihre Baugeschichte und kunstgeschichtliche Einordnung, in: Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1972, S. 65-99

Müller 1991. Müller, Matthias: Die Marburger Pfarrkirche St. Marien. Eine Stadtkirche und ihre Architektur als Ort politischer Auseinandersetzungen, Marburg 1991 (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur, Bd. 34)

Siebenhundert Jahre Liebfrauenkirche. 700 Jahre Liebfrauenkirche Frankenberg (Eder). Festschrift, hrsg. von Heinrich Balzer, Frankenberg 1986

Walbe 1913-1928. Walbe, Heinrich: Baudenkmäler in der Provinz Oberhessen, in: Jahresbericht der Denkmalpflege im Volksstaat Hessen, 4a, 1913-1918, S. 149-308


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

226 Am Langhaus der Katharinenkirche in Oppenheim findet man etwa zur gleichen Zeit in den siebenbahnigen Maßwerkfenstern Segmentbögen (Abb. 180).
227 Walbe 1913-1928, S. 154
228 so auch Schaper 2001, S. 10
229 Michler 1972, S. 92
230 Dehio-Cremer I 2008, S. 235 und 237
231 so beispielsweise im Querhaus von St. Stephan in Mainz oder am ab 1318 erbauten Langhaus der Marienkirche in Marburg (Müller 1991, S. 63)
232 Es umfasste die vier östlichen Joche, die beiden Westjoche der Seitenschiffe und der Turm wurden 1359 vollendet. (Dehio-Cremer I 2008, S. 235 und 237)
 
Abb. 34: Mengel 1994
Abb. 35, 178-183: Schmelz, Annette 2008
Abb. 184: Siebenhundert Jahre Liebfrauenkirche

 

Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche Alsfeld“, in:  www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php

 

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019
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: Schmelz, Annette PDF

 

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