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8 Bauanalyse, stilistische Einordnung und Datierung

8.1.3 Das frühgotische Langhaus - stilistische Einordnung und Datierung

 
Der Aufriss der frühgotischen Alsfelder Basilika wurde zunächst mit den Pfarrkirchen von Homberg/Ohm und Geißnidda verglichen.
Zwar zeigt das äußere Erscheinungsbild von Homberg/Ohm Parallelen zur Walpurgis-kirche, doch ist der Aufriss der spätromanischen Basilika mit ihren rechteckigen Wandpfeilern mit der Alsfelder Basilika nicht recht zu vergleichen.
Die Dorfkirche von Geißnidda dagegen zeigt einen Aufriss, der dem der Alsfelder Walpurgiskirche sehr ähnlich erscheint, doch konnte gezeigt werden, dass sich das östliche Rundpfeilerpaar mit den vier Diensten wohl aus anderen Quellen entwickelt hat als der kantonierte Pfeiler in Alsfeld. Auch wenn sich Einzelformen wie die östlichen Obergadenkapitelle in Geißnidda und ein Alsfelder Dienstkapitell unter der Westempore vergleichen lassen, auch wenn die Kapitelle im linken Gewände des Geißniddaer Nordportals und einige der Alsfelder bandartigen Knospenträger sich ähneln, so kann doch nicht geschlossen werden, dass sich die Alsfelder frühgotische Basilika der Kirche in Geißnidda verdankt oder umgekehrt. Michler ist zuzustimmen, wenn er konstatiert,  dass Alsfeld und Geißnidda als zwei voneinander unabhängige Ausprägungen einer parallel verlaufenden Entwicklung zu verstehen sind.210 Die gemeinsame Quelle, aus der die frühgotische Alsfelder Basilika, die Pfarrkirche in Geißnidda, die Mainzer Christophskirche und zahlreiche andere Bauten dieser Zeit gespeist werden, ist die Minoritenbaukunst, die in der Kölner Minoritenkirche eine ihrer frühesten Ausprägungen auf deutschem Boden erfahren hat.

Hinterfragt werden muss jedoch Michlers These, dass die Alsfelder Basilika nicht denkbar sei ohne das Vorbild der Benediktinerabtei St. Mauritius in Tholey im Saarland. Es konnte gezeigt werden, dass die Alsfelder Proportionen sehr genau mit denen von St. Christoph in Mainz übereinstimmen, so dass Tholey auch als unabdingbares Vorbild für die Christophskirche in Mainz gesehen werden müsste, eine These, die in der Forschungsliteratur zu St. Christoph bisher keine Erwähnung gefunden hat.211

Der Aufriss der Walpurgiskirche in Alsfeld und der Christophskirche in Mainz lässt sich, bei allen Unterschieden in den Proportionen, auch ohne Vermittlung über Tholey direkt aus der Minoritenkirche in Köln herleiten. Das für Alsfeld so kennzeichnende Merkmal des ohne Unterbrechung nach oben geführten Mittelschiffsdienstes kann für St. Christoph ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass sich für die Maßwerkfüllung der Alsfelder Obergadenfenster, wenn sie denn originalgetreu rekonstruiert worden sind, ein Vergleichsbeispiel im nahegelegenen Wetter finden lässt, so dass das Vorbild Tholey auch hinsichtlich dieses Kriteriums nicht zwingend erscheint.
Demnach gäbe das dritte Langhausjoch der Kölner Minoritenkirche den terminus post quem für die frühgotische Basilika in Alsfeld und St. Christoph in Mainz. Leider ist zwar der Baubeginn des Kölner Langhauses auf etwa 1260 zu datieren, das Datum der Fertigstellung jedoch umstritten. Nach Rathgens könnte die Vollendung  zwischen 1275 und 1297 unter Erzbischof Siegfried von Westerburg erfolgt sein,212 Verbeek zweifelt, dass zu dieser Zeit mehr als die Osthälfte des Langhauses fertiggestellt gewesen sei, die Westfront gehöre dem 14. Jahrhundert an.213

Die Mainzer St. Christophskirche fügt sich zeitlich gut in diesen Rahmen, Chor und Langhaus wurden zwischen 1280 und 1310 gebaut.

Der Bau des basilikalen Langhauses der Alsfelder Walpurgiskirche kann als parallele Entwicklung gesehen werden, ohne dass St. Christoph eindeutig als Vorbild für die Walpurgiskirche genannt werden könnte.214
In Alsfeld könnten die Bauarbeiten am Langhaus sogar etwas früher eingesetzt haben als in der Christophskirche. Der Bauschmuck des Mittelschiffes entspricht in Qualität und zeitlicher Einordnung dem des Chores. Insbesondere der Vergleich des Zungenblattkapitells des südlichen Chordienstes mit den Dienstkapitellen C2-ost und C3-west des Langhauses zeigt die enge Verwandtschaft beider Bauteile. Die einzige signifikante Neuerung des Langhauses stellen die kantonierten Pfeiler dar, die die Bündeldienste des alten Chores ablösen. Es dürfte davon auszugehen sein, dass das frühgotische Langhaus in kurzem zeitlichem Abstand zum Chor entstanden ist. Michlers Datierung der Alsfelder Langhausbasilika in das letzte Drittel des 13. Jahrhunderts ist daher zuzustimmen, wenngleich er sie auf einer anderen Argumentationskette aufbaut.
 
Hierzu passen auch die Erkenntnisse, die hinsichtlich der Einzelformen gewonnen werden konnten. Während die Obergadenfenster aus den beschriebenen Gründen nur eingeschränkte Erkenntnisse hinsichtlich Datierung und stilistischer Verwandtschaft erlauben, erwies sich der Formenvergleich der kantonierten Pfeiler als ergiebig. Die Sockel der Alsfelder kantonierten Pfeiler könnten von den Sockeln im östlichen Teil des Langhauses der Marburger Elisabethkirche abgeleitet werden, die Basenprofile scheinen eher den Profilen im Langhaus der Kölner Minoritenkirche verwandt als denen der Elisabethkirche.

Für die Dienstkapitelle wurden verschiedene mögliche Quellen aufgezeigt. Die Zungenblattkapitelle scheinen sich einem Marburger Vorbild in einem Fenster der Nordkonche zu verdanken, für die verschiedenen Formen der bandartigen Knospenträger kommen Vorbilder aus Marburg, der Minoritenkirche in Köln, dem Zisterzienserkloster Arnsburg oder Geißnidda in Frage. Wenn auch die Frage nach der genauen Herkunft der Alsfelder Kapitelle damit letztlich ungeklärt bleiben muss, so erlauben sie doch hinsichtlich der Datierung eine ungefähre Festlegung. Alle genannten Beispiele entstammen etwa dem Zeitraum zwischen 1240 und dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts.

Der Bauschmuck der prestigeträchtigen Bauunternehmungen in Marburg und Arnsburg scheint im ländlichen Raum mit einer gewissen Verzögerung und unter Qualitätseinbußen rezipiert worden zu sein. Es spricht daher nichts dagegen, die Alsfelder Langhauskapitelle grosso modo in das letzte Drittel des 13. Jahrhunderts einzuordnen.

Insgesamt zeigt sich die frühgotische Alsfelder Basilika in ihrem Formenapparat noch der Romanik verhaftet, ein Umstand, der zu ihrer relativ frühen Datierung in der älteren Literatur geführt hat.215
 
 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Frankl 1902. Frankl, Paul: Zur Baugeschichte der Walpurgiskirche, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1, 1902/1907, Nr. 3, abgedruckt in: Hundert Jahre Mitteilungen des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld 1902 – 1922, hrsg. von Monika Hölscher, Alsfeld 2001, S. 35-42

Großmann 1960. Großmann, Dieter: Alsfeld, München [u.a.] 1960

Kita 2008. Kita, Birgit: St. Christoph in Mainz und die Bettelordensarchitektur, in: Magister operis. Beiträge zur mittelalterlichen Architektur Europas. Festgabe für Dethard von Winterfeld zum 70. Geburtstag, Regensburg 2008, S. 53-78

Kögler 1992. Kögler, Johannes: Die evangelische Pfarrkirche von Geiß-Nidda, in: Wetterauer Geschichtsblätter, 41, 1992, S. 5-45

Krautheimer 2000. Krautheimer, Richard: Die Kirchen der Bettelorden in Deutschland, Reprint d. Ausg. 1925, Berlin 2000

Meyer-Barkhausen 1927. Meyer-Barkhausen, Werner: Alsfeld, Marburg 1927 (Alte Städte in Hessen, Bd. 1)

Michler 1972. Michler, Jürgen: Die Walpurgiskirche zu Alsfeld. Ihre Baugeschichte und kunstgeschichtliche Einordnung, in: Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1972, S. 65-99

Nitschke 1957. Nitschke, Heinrich: Untersuchungen zur Baugeschichte der St. Christophskirche, in: Mainzer Zeitschrift – Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte, 52, 1957, S. 28-37

Nothnagel 1940. Nothnagel, Karl: St. Christoph, in: Neeb, Ernst/Nothnagel, Karl/Arens, Fritz: Bestehende und verschwundene Mainzer Kirchen, Darmstadt 1940 (DieKunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Mainz, Bd. 2, T. 2), S. 56-79

Rathgens 1929. Rathgens, Hugo: Minoritenkirche, in: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln. Minoritenkirche, S. Pantaleon, S. Peter, S. Severin, Düsseldorf 1929 (Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Bd. 2,2), S. 1-41

Verbeek 1950. Verbeek, Albert: Zur Baugeschichte der Kölner Minoritenkirche, in: Untersuchungen zur frühen Kölner Stadt-, Kunst und Kirchengeschichte, hrsg. von Walter Zimmermann, Essen 1950, S. 141-163


Anmerkungen

210 Michler 1972, S. 83-85, dem schließt sich Kögler an. (Kögler 1992, S. 9)
211 Nothnagel 1940, Nitschke 1957, Kita 2008
212 Rathgens 1929, S. 10
213 Verbeek 1950, S. 142. Krautheimers Frühdatierung der Osthälfte des Langhauses vor 1257 dagegen dürfte wohl überholt sein. (Krautheimer 2000, S. 84)
214 so auch Michler 1972, S. 86
215 1240-45 (Frankl 1902, S. 5, Meyer-Barkhausen 1927, S. 17), Mitte 13. Jahrhundert (Großmann 1960, S. 13)
 
 

Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche Alsfeld“, in:  www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php

 

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019
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