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8 Bauanalyse, stilistische Einordnung und Datierung
8.1.2.3.2 Kapitelle der kantonierten Pfeiler
In der Mainzer Christophskirche sind die Kapitelle weitgehend einer neugotischen Restaurierung geschuldet, lediglich geringe Reste des alten Blattschmucks haben sich erhalten. Die ursprünglichen Kapitelle haben die gleiche Höhe wie in Alsfeld.196 Am südöstlichen Pfeiler zieren flache, gezackte und stark stilisierte Blätter das Kapitell (Abb. 158).197 Am nordwestlichen Pfeiler wachsen herzförmige, versetzt angeordnete Blätter aus einer Rispe (Abb. 159). Die Ranke mit den stilisierten Blättern zieht sich sowohl über das Kapitell des Rundpfeilers als auch über die Dienstkapitelle.
Abb. 158: Mainz, St. Christoph, Kapitell am südöstlichen Pfeiler, Zeichnung von Nitschke [+] |
Abb. 159: Mainz, St. Christoph, Kapitell am nordwestlichen Pfeiler [+] |
Abb. 160: Walpurgiskirche, Dienstkapitell B4-ost, Streiflicht-Aufnahme [+] | Abb. 161: Walpurgiskirche, Dienstkapitell C3-ost, Streiflicht-Aufnahme [+] |
Die Dienstkapitelle in Alsfeld sind, mit Ausnahme eines Kapitells unter der Westempore, Zungenblatt- und Kelchknospenkapitelle, der Blattkranz ist einreihig angeordnet. Vorbilder finden sich in den bereits angesprochenen frühgotischen Knollen-, Knospen- und Zungenblattkapitellen in der Nordkonche der Marburger Elisabethkirche (Abb. 126a). Ein Marburger Zungenblattkapitell konnte bereits als mögliches Vorbild für das Alsfelder Chorkapitell bestimmt werden, und auch die Zungenblätter der Dienstkapitelle C2-ost und C3-west (Abb. 162) stehen in dieser Tradition. | ||
Abb. 126a: Marburg, Elisabethkirche, Nordkonche, Fenster mit eingestellten Säulchen und frühgotischen Kapitellen [+] |
Abb. 162: Walpurgiskirche, Dienstkapitell C3-west [+] | Abb. 163: Walpurgiskirche, Dienstkapitell B3-ost [+] |
Abb. 150: Köln, Minoritenkirche, Profilwechsel der Arkade im 3. Joch von Osten [+] | Abb. 125: Kloster Arnsburg, Kapitelsaal, Kapitell [+] |
Das Kapitell des mittelschiffsseitigen Dienstes B3-süd wird ebenso von einem Bandträger geziert, die Blattbüschel bestehen aus jeweils drei in der Blattachse eingeknickten Blättchen, die zwischen sich ein kleines „Auge“ freilassen (Abb. 166). Diese Augenbildung ist ein typisches Kennzeichen einiger Knospenblätter in der Marburger Elisabethkirche (Abb. 167).199
Abb. 164: Walpurgiskirche, Dienstkapitell C4-ost [+] | Abb. 165: Geißnidda, Pfarrkirche, Nordportal, östliches Gewände [+] | |
Abb. 166: Walpurgiskirche, Dienstkapitell B3-süd [+] | Abb. 167: Marburg, Elisabethkirche, Dienstkapitelle zwischen Südkonche und Südseitenschiff [+] |
Ausweislich seines Standortes unter den erhaltenen frühgotischen Arkaden unterhalb der Westempore scheint das Kapitell bauzeitlich zu sein.
Abb. 168: Walpurgiskirche, Dienstkapitell C2-west [+] | Abb. 169: Geißnidda, Pfarrkirche, östliches Obergadenkapitell [+] |
Auch in Geißnidda steigen über dem geschärften Halsring Blattbüschel auf, die Form der Blätter erinnert an Efeu. Wie in Alsfeld übernehmen die Blätter die Aufgabe, vom Kelch des Kapitelles zum rechteckigen Kämpfer zu vermitteln, indem sie sich unterhalb der Ecken des Kämpfers zusammenballen und sehr dick ausgebildet sind, während sie sich an den übrigen Stellen flach anschmiegen.
Stilistische Vergleiche lassen die Geißniddaer Kelchkapitelle mit ihrem appliziertem Blattschmuck jünger erscheinen als die bandartigen Knospenträger und die dem niederrheinischen Palmettenstängel verpflichteten Kapitelle der Pfeilerdienste. Dehio ist sicher zuzustimmen, wenn er sie in das letzte Drittel des 13. Jahrhunderts datiert.200 Für das vergleichbare Alsfelder Kapitell ist der gleiche Zeitrahmen anzunehmen. Vielleicht ist es etwas jüngeren Datums als die Zungenblatt- und Kelchknospenkapitelle. Daraus ließe sich jedoch nicht auf einen Baufortschritt von Osten nach Westen schließen, denn das Kapitell der nördlichen Pfeilerreihe unterhalb der Westempore, B2-west, zeigt mit seinen runden Blättern und dem Blattüberfall an den Spitzen eher grobe Formen.
Literatur- und Quellenverzeichnis
Zeichnungen der Ausgrabung 1971/72 Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Außenstelle Marburg, Archiv der Abteilung Baudenkmalpflege
Dehio-Cremer II 2008. Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hessen II, Regierungsbezirk Darmstadt, bearb. von Folkhard Cremer, München [u.a.] 2008
Kita 2008. Kita, Birgit: St. Christoph in Mainz und die Bettelordensarchitektur, in: Magister operis. Beiträge zur mittelalterlichen Architektur Europas. Festgabe für Dethard von Winterfeld zum 70. Geburtstag, Regensburg 2008, S. 53-78
Nitschke 1957. Nitschke, Heinrich: Untersuchungen zur Baugeschichte der St. Christophskirche, in: Mainzer Zeitschrift – Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte, 52, 1957, S. 28-37
Walbe 1913-1928. Walbe, Heinrich: Baudenkmäler in der Provinz Oberhessen, in: Jahresbericht der Denkmalpflege im Volksstaat Hessen, 4a, 1913-1918, S. 149-308
Wilhelm-Kästner 1924. Wilhelm-Kästner, Kurt/Hamann, Richard: Die Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge, 2 Bde., Marburg 1924-1929, Bd. 1, 1924
Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis
195 Maße auf dem handgezeichneten Riss der Ausgrabung 1971/72 vermerkt.
196 0,37 m nach Nitschke 1957, S. 35
197 Kita bezeichnet sie als eine Art Distelblattschmuck. (Kita 2008, S. 60)
200 Dehio-Cremer II 2008, S. 348
Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche Alsfeld“, in: www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php
letzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019 Autorin(nen) oder Autor(en): Schmelz, Annette PDF |