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8 Bauanalyse, stilistische Einordnung und Datierung

8.1.2.1 Rekonstruktion des basilikalen Langhauses

 
Die Höhe der vier östlichen Freipfeiler variiert zwischen 2,50 m und 2,64 m, abhängig vom Fußbodenniveau.152 Der Durchmesser der Pfeilertrommel beträgt über 1,40 m,153 so dass die Pfeiler sehr gedrungen wirken (Abb. 57).
Der Scheitelpunkt der frühgotischen Arkaden unterhalb der Westempore liegt in etwa 4,70 – 4,80 m Höhe.154 Die Arkaden ruhen jeweils auf einer Konsole der Westwand sowie auf  dem westlichen Dienst der Pfeiler B2 und C2. Die Konsolen entstammen wohl der gleichen Bauperiode wie die Pfeilerkapitelle des Langhauses und zeigen somit an, „dass die Grundrissanordnung mit dem in das Langhaus einschneidenden Westturm schon auf den älteren Bestand zurückgeht.“155
 
 
Abb. 57: Walpurgiskirche, kantonierter Pfeiler [+]   Abb. 127: Walpurgiskirche, abgefaste Arkade der frühgotischen Basilika unterhalb
der Westempore [+]

 

Die Arkaden sind zu den Seitenschiffen hin abgefast, die Mittelschiffsseite ist unter dem starken Gewölbe verborgen, das die Empore unterfängt (Abb. 127). Die Arkaden sind an dieser Stelle nur einfach ausgebildet, nicht zweifach gestuft.  Es fällt jedoch auf, dass der Rundpfeiler abgearbeitet ist und durchaus Auflagefläche für einen dort beginnenden Arkadenbogen geboten hätte. 


Auf der Ostseite des Pfeilers B2 hat sich der Ansatz eines gestuften und abgefasten Scheidebogens erhalten, wenn auch auf der Nordseite durch den Emporeneinbau beschädigt (Abb. 128).  Der auf dem Dienstkapitell aufsetzende Unterzug ist nur in Richtung Seitenschiff abgefast, doch scheint es sich hier um eine Überarbeitung zu handeln. Wie in der Seitenansicht deutlich zu erkennen, sitzt der Unterzug nicht auf der Kante des Dienstkapitelles, sondern ist abgearbeitet und daher nach hinten versetzt (Abb. 129). Der ursprüngliche Unterzug muss sicherlich beidseitig abgefast gedacht werden, da die Deckplatten der Kapitelle mehrheitlich halbrund sind, nur  die Kämpfer unterhalb der Westempore und der Kämpfer des Dienstes B2-ost sind rechteckig.
 
   
Abb. 128: Walpurgiskirche, Ansatz von Arkade und Unterzug auf Pfeiler B2, von
Osten [+]
   

 

 
Der in Richtung Mittelschiff auf dem Rundpfeiler aufsetzende Arkadenbogen ist abgefast. Auf der Seitenschiffsseite ist der Arkadenbogen wohl symmetrisch zu ergänzen. Michler gibt zu bedenken, dass in diesem Falle die Obergadenwand eine größere Stärke aufgewiesen habe und nachträglich abgearbeitet worden sein müsste.156 Dafür spräche, dass die gedrungenen Rundpfeiler auf den Seitenschiffsseiten große freie Auflageflächen aufweisen (Abb. 130). Dort könnte eine breitere Wand aufgelagert gewesen sein, aus der dann die Profilstufe ausgeschnitten wurde. Die Strebepfeiler im Südseitenschiff würden aus dieser Mauer dann nur wenig hervortreten, so wie es, für die Frühgotik kennzeichnend, auch in Geißnidda zu beobachten ist (Abb. 131). Ein asymmetrischer Aufbau der Bögen wäre ungewöhnlich, zweifach gestufte Arkadenbögen sind in aller Regel symmetrisch aufgebaut, wie auch in der Mainzer Christophskirche oder der Minoritenkirche in Köln zu sehen.

Die mittelschiffsseitigen Dienstkapitelle steigen ohne Unterbrechung vom Boden auf, ihre Kämpfer liegen in etwa 5,30 m Höhe.157 Die Kapitelle liegen kurz oberhalb des Scheitelpunktes der Arkaden und etwa auf halber Höhe der gut 10 m hohen Mittelschiffswand.  Die Obergadenfenster sind etwa 2 m hoch, ihr Scheitel liegt etwa 0,5 m unterhalb des Gewölbescheitels.158 Ein nach diesen Maßen angefertigter Längsschnitt durch das Langhaus (Abb. 132) korrespondiert mit Michlers Rekonstruktion (Abb. 7). Deutlich erkennt man die außergewöhnlich gedrungenen kantonierten Pfeiler, die weitgehend ungegliederte Sargwand und weit nach oben gerückte Obergadenfenster.
Die im Südseitenschiff erhaltenen Strebepfeiler machen eine Wölbung des Mittelschiffes der frühgotischen Basilika wahrscheinlich. Es spricht einiges dafür, dass die geschärften Rundstäbe der Gewölbeanfänger bauzeitlich sind, die gekehlten Rippen und der Schildbogen erst später ausgeführt wurden.159 Vorstellbar wäre demnach, dass das frühgotische Mittelschiff kreuzrippengewölbt war, Rippen und Gurte gleichermaßen als geschärfter Rundstab ausgebildet waren.
Im Bereich der Seitenschiffe ist durch die Ausgrabungen nur ihre ursprüngliche lichte Breite von etwa 3,20 bis 3,30 m geklärt,160 Rekonstruktionen des aufgehenden Mauerwerkes und der Wölbung müssen spekulativ bleiben. Mengel geht von kreuzrippengewölbten Seitenschiffen aus (Abb. 9 und 10). Michler rekonstruiert, wohl in Anlehnung an die Lösung im später umgebauten südlichen Seitenschiff, Wanddienste, auf denen das Gewölbe beginnt (Abb. 7). Denkbar wäre neben einer flachen Decke auch eine Lösung wie in Geißnidda, wo die Seitenschiffe Kreuzgrat-gewölbe aufweisen, die an den Außenwänden auf Konsolen ruhen (Abb. 140).
 
 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Zeichnungen der Ausgrabung 1971/72 Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Außenstelle Marburg, Archiv der Abteilung Baudenkmalpflege

Michler 1972. Michler, Jürgen: Die Walpurgiskirche zu Alsfeld. Ihre Baugeschichte und kunstgeschichtliche Einordnung, in: Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1972, S. 65-99


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

152 Messung der Verfasserin
153 Maße auf dem handgezeichneten Riss der Ausgrabung 1971/72 vermerkt.
154 Messung der Verfasserin
155 Michler 1972, S. 76-77. Michler nimmt an, dass der Turm bereits aus der Zeit vor dem Bau des frühgotischen Langhauses stamme, da die in das Langhaus einspringende Anordnung des Westturmes nicht für eine einheitliche Planung spräche. Wenn jedoch der Turm den westlichen Abschluss des Langhauses bereits festgelegt hätte, so muss die Frage gestellt werden, warum die Baumeister der frühgotischen Basilika die Jochweiten des Langhauses nicht einheitlich dimensionierten. Die Verkürzung des westlichen Joches spricht eher für eine nachträgliche Verstärkung des Westturmes, vielleicht unter Verwendung der alten Konsolen. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Arkaden
unterhalb der Westempore nicht mehr unverändert den frühgotischen Zustand aufweisen. Für die Rekonstruktion soll dennoch von einer Arkadenhöhe von 4,70 - 4,80 m ausgegangen werden, das westliche Joch soll verkürzt dargestellt werden.
156 Diskussion bei Michler 1972, S. 98, Anm. 16
157 Maße auf dem handgezeichneten Riss der Ausgrabung 1971/72 vermerkt.
158 Berechnung anhand des maßstabsgetreuen Querschnitts in Michler 1972, S. 88, Abb. 18
159 Vielleicht in Zusammenhang mit den Umbauarbeiten 1472
160 Michler 1972, S. 87
 
Abb. 57, 127, 128: Schmelz, Annette 2008

 

Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche
Alsfeld“, in:  www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019
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: Schmelz, Annette PDF

 

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