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7 Baubeschreibung

7.2.4 Chor

 
Der Chor liegt gegenüber dem Langhaus um 0,34 m erhöht, der heutige Niveauunterschied entspricht jedoch nicht der historischen Situation.114

Die rechteckigen Chorpfeiler wirken wie Mauervorsprünge, die den Chor abschnüren (Abb. 20). Ihr Sockelprofil liegt heute unter Fußbodenniveau.115
 
Abb. 20: Walpurgiskirche, Chor [+]
 
 
An den Chorpfeilern lassen sich die Spuren mehrerer Umbaumaßnahmen erkennen, so ist an der  Stirnseite des südlichen Chorpfeilers noch die Konsole zu erkennen, auf der der Triumphbogen des alten Chores ruhte (Abb. 6). Die Chorpfeiler enden, auch hier  Mauervorsprüngen gleich, ohne Kämpfer. Der schmale, einfach abgefaste Triumphbogen setzt in einem Rücksprung auf den rechteckigen Chorpfeilern auf. Er ist nicht bogenförmig geführt, sondern nimmt die Form des Mittelschiffsgewölbes auf, so dass er vom Chor aus gesehen die Form eines Segmentbogens zeigt (Abb. 13). Im Zuge der Restaurierung 1913/14 versuchte man, die „unglückliche Kämpferbildung des Triumphbogens durch Einfügen eines Querbalkens an dieser Stelle zurücktreten zu lassen.“116
 
 
Abb. 6: Walpurgiskirche, Konsole am südlichen Chorpfeiler [+]   Abb. 13: Walpurgiskirche, westliche Abschlusswand des Chores [+]

 

An der westlichen Abschlusswand des Chores zeigen sich deutlich die Spuren des Anschlusses an ein Langhaus, das nicht zu dem hohen Chor passt und dessen Fortbestehen offensichtlich auch nicht geplant war. Oberhalb der Chorpfeiler erkennt man in den Winkeln zwischen der Chorabschlusswand und der nördlichen sowie südlichen Chorwand die Spuren eines  Umbaus  (Abb. 81).  Die groben Abbruchkanten werden nur unzureichend von Runddiensten verdeckt, die auf Blattmasken-Konsolen beginnen. Kurz unterhalb des Überganges zur Fachwerkwand fasst ein übergreifender Kämpferblock den Dienst und den Mauerabbruch  zusammen. Auch die Ausführung des oberen Teils der Chorwand in Fachwerk zeugt von einer provisorischen Lösung, die jedoch zum Dauerzustand wurde, weil die Erhöhung des Langhauses unterblieb.


Direkt östlich an die Chorpfeiler schließt je ein Bündeldienst an. Auf den Dienstkapitellen der Bündeldienste in etwa 4 m Höhe117 beginnt ein umlaufendes Kaffgesims, das in die Sohlbänke der Maßwerkfenster übergeht. Es gliedert den Chor in zwei Geschosse. Direkt oberhalb des Gesimses verläuft die hölzerne Empore, die den Chor auf drei Seiten umschließt. Der  Bereich unterhalb des Gesimses ist weitgehend ungegliedert (Abb. 20).
 
 
Abb. 81: Walpurgiskirche, Abbruchspuren im Winkel von nördlicher und
westlicher Chorwand [+]
 
  Abb. 82: Walpurgiskirche, Chor, Beginn der Dienste auf dem Kaffgesims [+]

 

Auf dem Kaffgesims beginnen die Dienste, ihr Beginn ist heute im Boden der hölzernen Empore verschwunden (Abb. 82). Etwa auf halber Höhe der dreibahnigen Maßwerkfenster enden die Dienste in Laubkapitellen (Abb. 83 und 84), von denen die Rippen und Gurtbogen des vierteiligen Kreuzrippengewölbes und des Chorpolygons ausgehen. Die Dienste wirken wie Zeltstangen, ihre Kapitelle knüpfen das Gewölbe baldachinartig an die Wand. Dieser Eindruck wird durch die Farbgebung noch verstärkt, Dienste und Gewölberippen heben sich dunkelgrau von der weißen Wand ab.118
 
 
Abb. 83: Walpurgiskirche, Chor [+]   Abb. 84: Walpurgiskirche, Dienst, Kapitell und Fenstergewände im Chorpolygon [+]

 

Auch die Gewände der Maßwerkfenster sind dunkelgrau gehalten. Im Gegensatz zu allen anderen Fenstergewänden weist das innere Gewände der Chorfenster nicht die charakteristische Hohlkehle auf, sondern ist im Winkel von 45 Grad abgeschrägt, so dass die Fenster optisch noch näher an die Dienste zu rücken scheinen.

Die Rippen des Chores enden ebenfalls in Schlusssteinen. Der Schlussstein im westlichen Joch zeigt das Wappen der Familie Schaufuß (Abb. 85). Im Schlussstein des Chorpolygons sitzt Christus im Segensgestus vor einem Regenbogen (Abb. 86). Der Fall seiner Kleidung, die Züge des Gesichtes und das Bewegungsmotiv zeigen, dass dieser Schlussstein qualitativ dem geradezu primitiv anmutenden Christuskopf im nördlichen Seitenschiff (Abb. 80) weit überlegen ist, auch wenn zwischen ihrer Entstehung vielleicht nur wenige Jahrzehnte liegen.
 
   
Abb. 85: Walpurgiskirche, Chor, Schlussstein mit dem Schaufuß-Wappen [+]   Abb. 86: Walpurgiskirche, Chorpolygon, Schlussstein mit segnendem Christus [+]   Abb. 80: Walpurgiskirche, Nordseitenschiff, östlicher Schlussstein [+]
 
 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Michler 1972. Michler, Jürgen: Die Walpurgiskirche zu Alsfeld. Ihre Baugeschichte und kunstgeschichtliche Einordnung, in: Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1972, S. 65-99

Walbe 1913-1928. Walbe, Heinrich: Baudenkmäler in der Provinz Oberhessen, in: Jahresbericht der Denkmalpflege im Volksstaat Hessen, 4a, 1913-1918, S. 149-308


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

114 Michler 1972, S. 72
115 Michler 1972, S. 71-72
116 Walbe 1913-1928, S. 157-158
117 Michler 1972, S. 68
118 Die Farbgebung folgt dem ursprünglichen Befund. (Walbe 1913-1928, S. 152)
 
Abb. 6, 13, 80-82, 84-86: Schmelz, Annette 2008
Abb. 20, 93: Prometheus Bildarchiv

 

Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche
Alsfeld“, in:  www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019
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: Schmelz, Annette PDF

 

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